29. März 1756, eine regnerische Nacht. Auf den Rheininseln Eselgrün (Eselwörth, Sauerbrunnenwörth) und Küngeliwörth zwischen Klein- und Großkembs herrscht rege Betriebsamkeit. Der Tag zeigt, dass über Nacht 1260 Bäume verschwanden - so die Schadensaufnahme durch den Großkembser Inspektor Schirmer. Nach Verdächtigen wird nicht lange gesucht, Blansinger und Kleinkemser werden es gewesen sein. Schirmer schickte zwei Mann über die Grenze, und richtig: die badische Insel Niederwörth ist gespickt mit frisch gesetzten Weiden, und beide Dörfer haben auffallend viele neue Gartenzäune.
Ein immenser Schaden für Großkembs, dem das nächtens gehauene Holz gehörte. Und kein Einzelfall! Schon 1749 waren gut organisierte Trupps von Blansingern und Kleinkemsern über beide Inseln hergefallen und ruck-zuck war weidlingsweise Holz geschlagen und abtransportiert; und 1745 hatten Großkembser den Kleinkemser Johann Erhart Müller auf der Insel Galeerengrün beim Holzschlagen gestellt.
Allerdings: auch die Großkembser waren keine Unschuldslämmer! 1631 waren "vermutlich von Großen Kemnitzern die zwee äußerste Stein gegen sundgauischem Gestade ... ausgegraben und entführet worden", und zu dem Vorfall von 1745 wird konstatiert "daß die koeniglich franzoesische Innwohner zu Großen Kembs sie (die Blansinger und Kleinkemser) de facto von einer Rheininsel depossedierten". Bis 1713 waren es nämlich die Kleinkemser, die auf Galeerengrün ihre Tiere weideten und Holz schlugen. Dann aber habe "der Rhein ... solches damahlen gantz verschwemmt und verrissen, seither der Zeit aber sey solches wieder mit weyden und Ehrlen Holz angewachsen, welches gedachte Sundgauer Unterthanen an jetzo als ihr Eygenthum ansprechen und niederhauen".
Vergleichbare Streitfälle lassen sich mindestens bis 1493 zurückverfolgen, und selbstverständlich ging das Gezänk auch nach 1756 weiter: 1760 z. B. war ein lebhaftes Jahr, in dem Martin Meerstetter und Daniel Hügin aus Kleinkems im Winter 50.000 Weidenstecken und im Sommer 150 Schöchlein Heu aus dem Großkembser Bann holten. Im Oktober ließen sich 14 Mann aus Blansingen und Kleinkems auf Eselgrün gar bei dem Versuch erwischen, eigene Grenzsteine auf Großkembser Gebiet zu vergraben.
Der Streit ging um die Nutzung der Rheininseln. Gerade für ein armes Dorf wie Kleinkems mit nur wenig Landbesitz waren Holz, Stecken, Heu und Gras der Inseln überlebenswichtig. Auch Fische und Fischgründe lieferten Anlass für Nachbarschafts-Tumulte, so (diesmal Klein-Hüningen ./. Neudorf) am 12. November 1736 wegen der Fischgründe der Schusterinsel, wobei die Fischer - angefeuert von den Kleinhüninger Frauen - mit Stacheln, Riemen und Rudern von Weidling zu Weidling aufeinander eindroschen.
Streit unter Nachbarn war bis zum 19. Jahrhundert eher die Regel als die Ausnahme.
Eigentlicher Verursacher des Streites war der Rhein.
(Text: Museum in der ‘Alten Schule’ / Dr. Maren Siegmann / 2024)