"Item ein Juchert Ackher in der dürre gelegen, ein seits neben der Judengaßen ..."
Judengasse. Ein Weg bei Mappach, erstmals genannt 1570, als Flurname in Gebrauch bis mindestens 1841.
Judengassen, Judenpfade, Judenwege IN einer Ortschaft sind einfach zu deuten: hier haben irgendwann einmal Juden gewohnt. Judenwege außerhalb, irgendwo draußen, in der Botanik, sind ebenfalls Zeugen jüdischer Geschichte. Aber ganz andere.
Die "Judenwege" in Bayern hat man gründlich erforscht. Nur wenige sind so alt (oder älter) als/wie die Mappacher Judengasse; meist stammen die Flurnamen wohl aus dem 17., 18., 19. Jahrhundert. Es lassen sich ganze Wegenetze rekonstruieren - Wege, von Juden begangen. Wege, die Dorfkerne meiden. Wege, die sich durch das Niemandsland der Gemarkungsgrenzen ziehen. Wege, die Hauptstraßen meiden. Wege, die vielleicht Ackerwege nutzen, vielleicht als Trampelpfad erkennbar sind, vielleicht nicht einmal das.
Andere Wege zu nutzen, brachte Sinn. Jüdische Händler unterwegs - Beschimpfungen und Tätlichkeiten drohen in jedem Dorf, auf jeder Straße. Wer möglichst unauffällig und un-gesehen unterwegs ist, kann Übergriffen leichter entgehen. Ist gerade Sonntag, gelten im Dorf besonders strenge Regeln, Ärger ist unvermeidlich. Ist er/sie gar mit vierbeiniger Ware unterwegs, wird es schnell kritisch - Gärten, Äcker, Wiesen locken Kuh/Schaf/Ziege mit frischem Grün. Legale Weideflächen für die hungrigen Tiere gibt es nicht. Besser ist es, auf den unbebauten Grenzbereich zwischen zwei Dorfgemarkungen mit seinem Gestrüpp auszuweichen. Sollte man/frau/kind dabei unbemerkt an einer Zollstation vorbeikommen - bestimmt kein Schaden. Jüdische Händler zahlen meist doppelt so viel Zoll auf ihre Waren wie ihre christlichen Kollegen. Und: sie müssen auch sich selbst, ihre Frau, ihre Kinder teuer verzollen.
Kurze Wege. Diese sind besonders wichtig bei Beerdigungszügen - viele jüdische Gemeinden haben sehr weite Wege zum nächstgelegenen Friedhof; und je weiter der Weg, desto höher die bürokratischen Hürden, die der Leichnam zu überwinden hat. Auch hier ist Zoll fällig - für die/den VerstorbeneN, für jede (jüdische) Begleitperson. Egal, ob Sargträger, Hinterbliebener, Nachbar.
Erfreuliche Wege. Gab es auch. Der Weg zur Synagoge, zu Verwandten, zu Nachbarn. Hier - im "Nahverkehr" machen es die jüdischen Fußgänger so wie alle anderen: es wird abgekürzt.
Spazier-Wege. Wohl eine jüdische Erfindung: der typisch deutsche Sonntags-Spaziergang.
Am Sabbat spazieren zu gehen, ist erlaubt und wird gerne und ausgiebig gemacht. Wobei die erlaubte Strecke endlich und sehr kurz ist (ca. 1,1 km). Landmarken - natürlich oder menschengemacht - zeigten das Ende dieser Strecke.
Nun braucht es aber - ziemlich sicher - eine ganze Zeit, bis eine Route, ein Pfad, ein Weg von der christlichen Mehrheitsbevölkerung "Judenweg" genannt wird. Das macht die Mappacher "Judengasse" von 1540 so spannend.
Jüdische Familien finden wir zwischen Grenzach und Sulzburg ab 1534, und nach 1580 leben hier keine Juden mehr.
Für Hinweise auf weitere "Judenwege" wäre das Museum in der ´Alten Schule´ dankbar.
Auch andere Gruppen ("Zigeuner", "Bettler") nutzten eigene Wege. Einen Überblick über die (insgesamt mageren) bislang bekannten südbadischen Belege gibt die Karte des Roma-Büros Freiburg (https://www.roma-buero-freiburg.eu/karte/). Neben der Mappacher Judengasse wäre hier noch das "Judebrüggli" bei Obereggenen nachzutragen.
(Text: Museum in der ‘Alten Schule’ / Dr. Maren Siegmann / 2024)