Die "Entjudung" der Villa Binswanger in Deuringen
Judenschicksale während der NS-Zeit sind in Stadtbergen nicht bekannt. Eine Ausnahme bilden die Vorgänge um die jüdische Familie Binswanger, die in Deuringen die gleichnamige Villa besaß (ihren eigentlichen Wohnsitz aber in Augsburg hatten). Nach dem Tode von Fanny Binswanger Ende 1938 erbte der Sohn Friedrich Binswanger aus Frankfurt am Main u. a. die o. g. Villa und wurde im Sommer 1939 aufgefordert, das Haus innerhalb von vier Wochen an die Gemeinde Deuringen zu verkaufen. Diese Frist wurde im Dezember 1939 bis zum 1. Februar 1940 verlängert. Da ein Kaufvertrag bis dahin nicht vorgelegt wurde, setzte der Regierungspräsident am 13. Mai 1940 einen Treuhändler ein, der das Haus an die Gemeinde Deuringen verkaufen sollte. Der Eigentümer Friedrich Binswanger verlor mit dieser Verfügung die Rechte über die Villa und musste dafür noch eine Gebühr von 12 Reichsmark zahlen. Schließlich unterschrieb am 23. Oktober 1940 die Gemeinde Deuringen den Kaufvertrag. Für 15.000 Reichsmark verkaufte der Treuhänder die Villa, wobei ein Einheitswert von 23.100 Reichsmark vorher festgelegt worden war. Basis dieser Quasi-Enteignung war die Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938. Danach konnten Juden gezwungen werden, ihren Besitz innerhalb einer bestimmten Frist zu verkaufen oder es wurde ein Treuhändler eingesetzt, der den Verkauf tätigte.
Die Villa diente der der Nazionalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) als Kindergarten und als Wohnhaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es längere Verhandlungen zwischen den Binswanger´schen Erben, die sich noch rechtzeitig nach England absetzen konnten, und der politischen Gemeinde Deuringen über Wiedergutmachungsforderungen.
Probleme gab es insbesondere bei der Frage, wer für den schlechten Bauzustand der Villa verantwortlich sei und ob durch den Einbau einer Wasserleitung und eines Bades durch die Gemeinde die Nutzung des Gebäudes abgegolten sei.
Das Gebäude stand, später stark verändert, bis zum Abbruch 2002 auf dem Grundstück "Allgäuer Str. 56".
Aus:
Werthefrongel, Thomas (2014): Gruß und Schluck! Alte Ansichtskarten aus Stadtbergen, Leitershofen, Deuringen. 1. Aufl. Augsburg: Joh. Walch, S. 84.
Willi, Gerhard (1992): „Stadtbergen unter dem Hakenkreuz“. In: Gunther Gottlieb, Walter Pötzl (Hg.): Ortsgeschichte der Marktgemeinde Stadtbergen. Stadtbergen, Leitershofen, Deuringen, 1. Aufl. Augsburg: Pröll Druck und Verlag GmbH Augsburg, S. 523–558, hier S. 542.
Ders. (1992): „Zwischen Kriegsende und Markterhebung – Stadtbergens Entwicklung zum modernen Gemeinwesen“. In: Gunther Gottlieb, Walter Pötzl (Hg.): Ortsgeschichte der Marktgemeinde Stadtbergen. Stadtbergen, Leitershofen, Deuringen, 1. Aufl. Augsburg: Pröll Druck und Verlag GmbH Augsburg, S. 559–615, hier S. 574.
Verortung: Allgäuer Str. 56 (Ortsteil: Deuringen).