Station: [19] Frühstückspause im Stahlwerk
Karl:
Gib male die Kaffeekanne rüber, Otto
Otto:
Guck mal, da kommt der BGLer!
Karl:
Was willst du denn in unserer Frühstückspause?
BGL:
Kollegen, ich hab ein dringliches Anliegen mit euch zu besprechen…
Karl:
Um was geht´s denn?
BGL:
Um die Arbeiterfestspiele.
Otto:
Ist das was Betriebliches oder privat?
BGL:
Na mehr so betrieblich.
Karl:
Da musst du wiederkommen, wenn die Frühstückspause zu Ende ist.
BGL:
Wann ist denn eure Pause zu Ende?
Otto:
Wenn die Bemmen alle sind.
Karl:
Das wär ja noch schöner, uns in der gewerkschaftlich garantierten Frühstückspause zu stören…
Wir hätten den Natschalnik gleich wegen der Karten für den Weihnachtsteller fragen sollen. Letztes Jahr um die Zeit hatten wir die längst!
Otto:
Hast du nicht gehört, dass der Weihnachtsteller dieses Jahr ausfällt?
Karl:
Was? Das gibst doch nicht!
Otto:
Doch, an Risse soll das liegen…
Karl:
An Risse? Risse, Herbert, der Kulturnatschalnik? Quatsch, der organsiert doch den Weihnachtsteller.
Otto:
In diesem Jahr eben nicht. Es ist da was vorgefallen, was Politisches…
Karl:
Hat der etwa Westkontakte?
Otto:
Nee, aber die Stasi ist dran.
Karl:
Mensch, nu sag schon, was los ist. Quatsch nicht um den heißen Brei. Oder ist das vertraulich?
Otto:
Nee, nee, das stand sogar in der Zeitung, vorne uff der Titelseite. Haste ni gelesen? „RISSE in der NATO“!
Karl:
Du blöder Hund, verarschen kann ich mich selber!
Karl:
Wo kommst denn du her?
Silke:
Ich war schnell mal in der Stadt. Hier, chinesische Kordhosen für Kinder hab ich erwischt.
Karl:
Aber du hast doch gar keine Kinder!
Silke:
Das hab ich doch nicht gewusst, als ich mich angestellt habe!
Karl:
Dass du keine Kinder hast?
Silke:
Quatsch, dass es chinesische Kordhosen für Kinder gibt. Hätten doch auch Bettlaken oder Tempotaschentücher sein können.
Karl:
Weißt du, wie lange es schon keine Tempotaschentücher mehr gegeben hat?
Silke:
Deswegen hab´ ich mich ja angestellt. Man weiß nie, was es grade gibt, wenn ´ne Schlange ist.
Otto:
Sollte sich Silke vielleicht umsonst anstellen, bloß weil sie keine Kinder hat? Für die Hosen findet sich schon ein Abnehmer. Vielleicht kannst es gegen was tauschen!
Karl:
Apropos tauschen! Kennt nicht mal jemand einen, der ´ne Autoanmeldung tauscht? Das Geld für ´nen Neuwagen hab ich zusammen, aber für nen Gebrauchten reicht´s nicht.
BGL:
Kollegen, es ist dann gleich Mittag, ob wir schon mal reden könnten?
Otto:
Eh du uns die Mittagspause versaust, fang lieber an.
BGL:
Ja, also ich sagte ja schon, es geht um Kultur. Und Kultur ist ja bekanntlich jeder zweite Herzschlag.
Karl:
Ich glaube, da leide ich an Herzrhythmusstörungen.
BGL:
Die Arbeiterfestspiele stehen bevor und wir sollen sie ausgestalten.
Otto:
Was heißt denn hier „wir“ und „ausgestalten“?
BGL:
Na, unsere Arbeitskollektive sollen sich mit kulturellen Beiträgen an den Festspielen beteiligen. Ihr, liebe Kollegen und Kolleginnen, seid auserwählt, eine Volkstanzgruppe zu bilden.
Karl:
Wer ist denn auf den Blödsinn gekommen?
BGL:
Das ist kein Blödsinn, sondern ein gewerkschaftlicher Auftrag. Es geht um den Ruf unserer Stadt.
Otto:
Und um meinen Ruf, da geht es wohl nicht, was? Meinst du, ich kann mich im Wohngebiet oder bei den Kegelbrüdern noch sehen lassen, wenn ich hier den Schwanensee tanze?
BGL:
Aber doch nicht den Schwanensee!
Karl:
´nen Rheinländer oder die bayerische Polka, nicht, Kollege BGLer?
BGL:
Um Gottes Willen, Tänze des kapitalistischen Auslands kommen überhaupt in Frage. Ich dachte eher an den ganz neuen Tanz.
Otto:
Was soll denn das für ein Tanz sein?
BGL:
Der Lipsi!
Karl:
Und den sollen wir tanzen? Womöglich auf einer Bühne? Das kannste glatt vergessen!
BGL:
Kollegen, den müsst ihr tanzen. Das ist schon beschlossen. Eure Kollegin Silke wird es euch beibringen. Sie hat extra ein Volkstanz-Zirkelleiter-Seminar besucht.
Karl:
Was hat die besucht?
Silke:
Ein Volkstanz-Zirkelleiter-Seminar!
Otto:
Hinter unserm Rücken hat die das gemacht, Also nee!
BGL:
Ich erwarte, Kollegen, dass ihr noch diese Woche mit den Proben beginnt.
Karl:
Ohne mich!
BGL:
Selbstverständlich seid ihr dazu von der Arbeit freigestellt.
Karl:
Warum hast du das nicht gleich gesagt! Da machen wir natürlich mit. Und jetzt gehen mir erst mal an die Arbeit, nicht?