Mitte August kommen sie in unsere Welt zurück – die Seelen der Verstorbenen: Während dieser Zeit gedenken die Japaner ihrer Ahnen, opfern ihnen Speisen sowie Räucherwerk, entzünden Signalfeuer, um ihnen den Weg zu weisen. Obon, ein traditionelles buddhistisches Fest, ist eine spirituelle Zusammenführung der Familienmitglieder zwischen Jenseits und Diesseits.
„Geprägt vom Einfluss unterschiedlicher religiöser Strömungen wie Buddhismus, Volksreligion und konfuzianischem Ahnenkult ist bis heute in Japan der Glaube verbreitet, dass Menschen beim Tod zu Totengeistern werden. Sie müssen sich für eine bestimmte Zeit in einer Welt zwischen dem Diesseits und Jenseits aufhalten, bevor sie ins Totenreich eingehen und zu Ahnengeistern werden“, erklärt Japanologe und Kunsthistoriker Dr. Bas Verberk. Gerade hat er die „Neuinstallation der ständigen Sammlung Japan“ kuratiert, dem Thema „Totengeister“ einen eigenen Bereich gewidmet.
Rache über den Tod hinaus
Aufgebrachte Geister Verstorbener: es sind fast immer tragische Gestalten, die großes Leid erfahren haben – wie „Der Geist einer Dienerin, die in den Brunnen geworfen wurde, weil sie einen Teller ihres Herrn zerbrochen hatte.“ Eine Arbeit aus der Serie 100 Geistergeschichten des Malers, Illustrators und Designers Katsushika Hokusai (1760 – 1849). Er gehört zu den bedeutendsten Künstlern Ostasiens.
Ein als zornig angesehener Geist kann immer nur durch Opfer und Rituale der Angehörigen besänftigt werden, damit er zu einem beschützenden Ahnengeist transformiert. Werden die Totenriten vernachlässigt, wird aus dem Geist ein Gespenst, das die Familie quält und Unglück über sie bringt. „Japanische Familien haben ihre eigenen Altäre in ihren Häusern, damit sie ihren Vorfahren ihren Respekt erweisen und die Götter verehren können. Wenn eine Person stirbt, wird der Hausaltar verwendet, um die Rituale nach der Beerdigung durchzuführen, damit sie zu ihren Vorfahren zurückkehren kann,“ so Dr. Bas Verberk.
Dämonenrollen
Die Vorstellungen, die dieser Geisterikonographie zugrunde liegen, reichen bis in das sechste Jahrhundert zurück. Im Mittelalter entdeckte das Theater die Geschichten für sich – zuerst das Nō-Theater, in der Edo-Zeit (1600–1867) das Kabuki-Theater, in dem Rachegeister zu einem Hauptthema wurden. In illustrierten Büchern widmeten Künstler wie Katsushika Hokusai oder Tsukioka Yoshitoshi dem Thema ganze Bildserien.
Erfrischung am Fudo Wasserfall, Kanda-Fluss mit Anglern, Bijin mit Moskito-Netz: Summer Feeling in höchster Vollendung – Holzdrucke im Museum für Ostasiatische Kunst zeigen Motive, die den Sommer in sehr unterschiedlichen Facetten thematisieren.
„Die Jahreszeiten sind ein wiederkehrendes Thema in der japanischen Kultur und Traditionen sowie ein beliebtes Motiv in der japanischen Kunst. Von Gemälden und Lackkästen bis hin zu Ikebana-Stücken, die Dekorationen in japanischen Innenräumen ändern sich immer mit den Jahreszeiten,“ erzählt Dr. Bas Verberk. Der Japanologe und Kunsthistoriker hat die ständige Sammlung Japan im Museum für Ostasiatische Kunst neu installiert – dem Thema „Sommer“ einen eigenen Raum gewidmet.
Lange Tradition
Der japanische Holzdruck reicht bis ins 8. Jahrhundert zurück. Ab dem 14. Jahrhundert sind Schwarzdrucke mit buddhistischen Schutzgottheiten überliefert. Ca. 1743 beginnen erste Experimente mit dem Vielfarbendruck, der zunächst in privat herausgegebenen Kalender- und Gedichtblättern perfektioniert wird. Rund 40 Jahre später werden so gut wie alle Drucke von Verlegern herausgegeben, die Technik wird immer mehr verfeinert: Relief, lackschwarze oder Glimmer-Effekte erhöhen den Produktionsaufwand, geben den Drucken aber ein luxuriöses Finish.
Neuer Trend
Eine besondere Form des Holzschnitts sind die Ukiyo-e - „Bilder der fließenden Welt“. Der Begriff geht auf einen populären Roman aus dem Jahr 1662 zurück, der ihn als Synonym für den ausschweifenden Lebensstil der neuen Elite in Edo (heute Tokio) verwendet. Die Arbeiten zeigen elegante Städterinnen beim Schreinbesuch, beim Picknick oder auffällig gekleidete Kurtisanen und ihre Schülerinnen auf den Straßen Yoshiwaras, bei populären Festen in Tempeln sowie Schreinen, in Teehäusern, auf Vergnügungsbooten. In der westlichen Welt wurden Ukiyo-e durch die Weltausstellung in Paris 1867 bekannt.
Der Star der Szene
Utagawa Hiroshige (1797 – 1858) gilt als einer der letzten großen Farbholzschnittmeister der Edo-Zeit. Seine Ansichten der Stadt und ihrer Umgebung waren gefeierte Bestseller und machten den japanischen Künstler zu einem stilbilden Vorreiter der Szene. Aus seiner berühmten Serie „100 Ansichten von Edo“ zeigt das Museum für Ostasiatische Kunst eine repräsentative Auswahl. „Sie umfasst wunderschöne Sommerlandschaften, Hiroshige war ein Meister in der Darstellung der Jahreszeiten und der Atmosphäre des Tages. Außerdem ist ein wunderbarer Druck von Hokusais 36 Ansichten des Berges Fuji in der Ausstellung enthalten. Sowohl Hokusai als auch Hiroshige machten den japanischen Landschaftsdruck in den 1830er Jahren als Genre bekannt,“ so Kurator Dr. Bas Verberk.
Gefährliche Bilder
Ukiyo-e – unter dieses Genre fallen neben Holzdrucken auch Gemälde. Die Hängerolle „Bijin mit Moskito-Netz“ zeigt eine leicht bekleidete Frau, die ein Moskitonetz über ihrem Futon-Bett ausbreitet. Diese intime Szene gehört in die Kategorie der sogenannten “gefährlichen Bilder”, die im Unterschied zu ausdrücklich erotischen Werken nur mit Andeutungen arbeiten. Das Motiv geht auf den Ukiyo-e Meister Hosoda Eishi (1756–1829) zurück. Es existieren zahlreiche Repliken von seinen Schülern, zum Teil mit Aufschriften namhafter Literaten, die belegen, dass sie die Kopien für eine elitäre Klientel produziert haben.
Götter, Geister und Dämonen - Neuinstallation der ständigen Sammlung Japan - ab 20. Juni 2023
Raijin, der Donnergott, gehört sicherlich zu den imposantesten Objekten der aktuellen Ausstellung: Götter, Geister, gewaltige Dämonen, Tiere mit magischen Fähigkeiten – sie sind seit Jahrhunderten fester Bestandteil der japanischen Kunst. Ab dem 20. Juni können Besucher im Museum für Ostasiatische Kunst Köln in eine spirituelle Erlebniswelt eintauchen.
Leben mit der Natur
Die Inselnation Japan erstreckt sich nordsüdlich der asiatischen Monsunzone. Der Rhythmus der Jahreszeiten sowie das milde Klima begünstigen die Landwirtschaft, sorgen für eine vielfältige Vegetation. Den Gegenpart bilden Naturkatastrophen wie Taifune, Flutwellen, Vulkanausbrüche, Erdbeben. Dieser kontinuierliche Wechsel prägte die Weltanschauung der japanischen Ur-Religion, des Shintō: Das Schicksal der Menschen ist dem Willen der Götter überlassen – Naturverehrung, die Durchführung von regelmäßigen Riten und Jahresfesten sollen ein friedvolles Zusammenleben mit ihnen sicherstellen.
„Für mich sind zwei Skulpturen - Raijin, der Donnergott, sowie Karura, ein vogelähnliches Wesen aus der hinduistischen Mythologie – besonders interessant. Es sind Nachbildungen eines bedeutenden Nationalschatzes aus dem 13. Jahrhundert. Die Originale stehen im Sanjūsangendō-Tempel in Kyoto. Im Jahr 1871 beauftragte die japanische Regierung berühmte Bildhauer mit der Anfertigung naturgetreuer Kopien. Was am Originalschauplatz im recht dunklen Tempel nicht möglich ist, gelingt im Museum: Der Besucher erhält die wunderbare Chance, den außergewöhnlichen Objekten ganz nah zu kommen“, so Kurator Dr. Bas Verberk.
Individuelle Sehnsucht
Im 8. Jahrhundert wandelt sich mit der Entstehung eines zentralistischen Staates und der Adelsgesellschaft die Vorstellung, dass Götter die Natur bewohnen, zu einer lyrischen Betrachtung – die individuelle Sehnsucht nach einer idealisierten Natur findet in Dichtung sowie Malerei ihren Niederschlag. Parallel breitet sich der Buddhismus aus, der die Natur dem leidvollen Leben gegenüberstellt. Shintō und Zen-Buddhismus sind bis heute die beiden Hauptreligionen Japans.
Totengeister und Yōkai
Eine ganz besondere Rolle spielen Geister, die eine hohe Verehrung genießen können. Dazu gehören die Totengeister, die sich in einer Welt zwischen dem Diesseits und Jenseits aufhalten, oder auch die Yōkai: Lebewesen mit magischen Kräften. Vor allem Fuchs, Marderhund, Katze, Schlange gelten als Verwandlungskünstler.
„Alle gezeigten Objekte sind Bestandteil der Sammlung, wurden vor der Ausstellung stabilisiert, gereinigt und, wenn erforderlich, auch restauriert,“ sagt Anna Hillcoat-Imanishi. „Ich finde es fantastisch, dass wir die Geisterdarstellungen zeigen. Es sind spannende, oft vielschichtige Geschichten, die sich in den einzelnen Werken verbergen.“ Besonders fasziniert die Restauratorin eine Querrolle, eine Kopie aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. „Der Wettkampf der Tiere – eine berühmte japanische Fabel.“
Für die Neuinstallation der ständigen Sammlung „JAPAN“ hat Dr. Bas Verberk – Japanologe, Kunsthistoriker und Kurator am Museum für Ostasiatische Kunst Köln – eine Auswahl herausragender Objekte aus der Sammlung eindrucksvoll inszeniert. Skulpturen, Zen-Malerei, Schriftkunst, Wandbilder, Holzschnitte, Bildhefte visualisieren die komplexe Welt der Götter, Geister und Dämonen.
Für seine Ausstellung verwendet Naoya Hatakeyama Fotografien von japanischen Sehenswürdigkeiten aus der Meiji-Ära Japans (1868-1912) als Inspiration für seine eigene fotografische Untersuchung dieser Orte. Dabei interessiert ihn der zeitliche Aspekt, der zwischen den damaligen touristischen Ansichten und der heutigen Landschaft liegt. Die spielerische Gegenüberstellung von Archivmaterial und seinen eigenen Aufnahmen öffnet darüber hinaus das Spektrum zwischen der Fotografie als Dokument und der Fotografie als Kunstwerk.
Dauer der Ausstellung: 12. Mai bis 17. September 2023
Aus dem Nachlass des Bitburger Eisenbahningenieurs Heinrich Hildebrand (1855-1925) erbte das Museum für Ostasiatische Kunst ein bemerkenswertes Konvolut chinesischer Silberschmiedearbeiten der späten Qing-Dynastie. Hildebrand wurde 1891 als kaiserlicher Baurat nach China entsandt, leitete später den Aufbau des Eisenbahnnetzes in der Provinz Shandong. Das gezeigte Tafelsilber stammt aus seiner Residenz in Tsingtau und unterscheidet sich vom traditionellen chinesischen Silber durch seine europäischen Gefäßformen. Die Dekore hingegen sind von der heimischen Gold- und Silberschmiedekunst inspiriert, die bis in Tang-Dynastie (617-907) zurückreicht.
Dauer der Ausstellung: 4. Mai 2023 bis 29. Oktober 2023