Domschatz Minden lüftet Geheimnis des „zweiten Löwen“
Minden (DVM). „Das ist schon eine kleine Sensation.“ Hans-Jürgen Amtage, Vorsitzender des Dombau-Vereins Minden (DVM), ist immer noch überrascht, wie dieser besondere Löwe plötzlich nach Minden kam.
Im Domschatz Minden ist seit dem Mittelalter das Original der Löwenaquamanile dokumentiert, die sehr wahrscheinlich vor 850 Jahren als Geschenk Heinrichs des Löwen an Bischof Werner von Minden in die Bischofsstadt kam. Der traute am 1. Februar 1168 den Welfen mit der englischen Königstochter Mathilde im Mindener Dom. Schon bei seiner Wahl war Bischof Werner möglicherweise von Heinrich dem Löwen unterstützt worden, der über eine Anhäufung welfischen Besitzes und von Besitzrechten im Gebiet des Bistums Minden verfügte.
Geradezu geheimnisvoll dagegen ist die Entstehungsgeschichte einer nahezu völlig identischen Kopie des Mindener Gießgefäßes, das im Mittelalter bei der liturgischen Händewaschung verwandt wurde. Seit Jahrzehnten vermuteten Kunsthistoriker, dass eine solche Kopie irgendwo in Deutschland in Privatbesitz sei. Zuletzt war dieses in einer Beschreibung der Mindener Löwenaquamanile in den stadtgeschichtlichen Bänden „Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen“ niedergeschrieben worden. „Doch wo sich diese Preziose befand, das war völlig offen. Bis Anfang dieses Jahres“, berichtet Hans-Jürgen Amtage.
Löwen begegnen sich im Domschatz Minden
„Im Januar meldete sich die Familie Dr. Frauke und Dr. Ingo von Lücken aus dem benachbarten Niedersachsen bei uns im Domschatz und fragte an, ob sie ihre Aquamanile einmal mit unserer vergleichen dürfe“, so der Vorsitzende des Dombau-Vereins, der seit der Wiedereröffnung auch Betreiberverein der neugestalteten Domschatzkammer am Kleinen Domhof ist. „Bereits eine Woche später begegneten sich die beiden Löwen bei uns in der Ausstellung.“
Das Erstaunen auf Seiten der Familie von Lücken und des DVM-Vorstandes sowie des ehrenamtlichen Domschatzwächters Andreas Kresse und des Mitgliedes des Kirchenvorstandes der Domgemeinde, Rudolf Bilstein, der sich seit Jahren besonders um das Thema Restaurierungen kümmert, sei groß gewesen. Die beiden Löwenaquamanilen würden sich mehr als 90 Prozent ähneln, obwohl das Original aus der Domschatzkammer in den vergangenen zwei Jahrhunderten soweit bekannt nie die Schatzkammer zur Herstellung einer Kopie verlassen habe, schildert Amtage.
In die Familie von Lücken gelangte der „zweite Löwe“ im Jahr 1950 aus dem Nachlass eines Hildesheimer Dompfarrers, der testamentarisch verfügt hatte, dass der Vater des heutigen Besitzers die Löwenaquamanile bekommen sollte. Der Priester hatte als junger Kaplan den Löwen von einem Braunschweiger Kneipenwirt erworben, in dessen Gaststätte das Gießgefäß seit Jahrzehnten auf dem Tresen stand und auch mal als Aschenbecher genutzt wurde.
Der Gießlöwe als Aschenbecher in einer Kneipe
Während der Wirt damals berichtete, dass der Löwe seit vielen Generationen in Familienbesitz und in diesen durch den Bildersturm in Braunschweig im Jahr 1528 gelangt sei, vermutet die Fachstelle Kunst des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn eine spätere Herstellung. „Da das Mindener Aquamanile schon in den Jahren 1867 beziehungsweise 1879 publiziert und ausgestellt worden ist, ist es nicht verwunderlich, dass man Nachbildungen des Geräts hergestellt hat, was im 19. Jahrhundert mit oftmals erstaunlicher Qualität geschehen ist“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Karin Wermert. Eine von Frauke von Lücken in Auftrag gegebene Materialanalyse des Löwen durch den TÜV Nord in Hannover weist auf eine mittelalterliche Legierung der Aquamanile hin. „Solche Materialmischungen wurden auch deutlich später hergestellt“, sagt die Paderborner Kunsthistorikerin.
Während diese Löwenkopie erst einmal wohl ihr Geheimnis wahren wird, haben die Eigentümer die Aquamanile für einige Wochen dem Dombau-Verein Minden als Leihgabe überlassen. So zeigt der Domschatz Minden unter dem Titel „Wir haben den Löwen“ ab Samstag, 16. Juni, in einer Sonderpräsentation aus Anlass des 850. Jahrestages der Fürstenhochzeit den „zweiten Löwen“.
Mit der Ausstellungsplanung begann für Domwächter Andreas Kresse ein kleines (kunst-)geschichtliches Abenteuer. Für vier halbstündige Führungen aus Anlass der Sonderpräsentation tauchte er tief in die Geschichte der Trauung Heinrichs des Löwen mit Mathilde von England und der beiden Gießlöwen ein. Am kommenden Wochenende wird er bei den Mindener ZeitInseln mit der weitgehend authentischen Darstellung der Fürstenhochzeit durch Historiendarsteller bei den öffentlichen Kurz-Führungen im Domschatz Minden diese Geschichte vorstellen. Die Themen-Führungen beginnen am Samstag, 16. Juni, und Sonntag, 17. Juni, jeweils um 11 Uhr und um 13 Uhr. An beiden Tagen gibt es außerdem um 15 Uhr öffentliche Führungen durch die gesamte Sammlung der Domschatzkammer. Der Eintritt ist an beiden ZeitInsel-Tagen frei, der Domschatz durchgehend von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Fürstenhochzeit Minden