Station: [9] Die Ärzte der Heilanstalt Wehnen
M: In welches Haus immer ich eintrete, eintreten werde ich zum Nutzen des Kranken, frei von jedem willkürlichen Unrecht und jeder Schädigung (…).
F: Dieses Zitat stammt aus dem Hippokratischen Eid, der ersten grundlegenden Formulierung einer ärztlichen Ethik. Benannt ist der Eid nach dem griechischen Arzt Hippokrates von Kos. Wie kann es aber sein, dass Ärzte Menschen in lebenswert und un-lebenswert einteilen? Ein Bericht von Obermedizinalrat Kurt Mönch gewährt einen Einblick. Mönch war von 1924 bis 1937 ärztlicher Leiter der Heilanstalt Wehnen. Bereits 1925 schrieb er an das oldenburgische Innenministerium:
M: „Deutschland, das infolge des Weltkrieges ganz besonders im Sinne der negativen Auslese seiner Bevölkerung heimgesucht worden ist, hat allen Grund, die Qualitätsfrage vor die Quantitätsfrage zu stellen und muss daraufhin wirken, sich vor der Überreicherung mit Nachwuchs von geistig und sittlich Minderwertigen zu schützen und der zunehmenden Verwahrlosung gegen zu steuern.“
F: Kurt Mönchs Nachfolger in der Heilanstalt Wehnen war Dr. Carl Petri, der als „Landesobmann für die erbbiologische Bestandsaufnahme“ für die Erfassung der oldenburgischen Bevölkerung in einer Sippen- und Erbkartei verantwortlich war. Mithilfe dieser Kartei wurde das Ziel einer „Ausmerzung von Erbkrankheiten“ verfolgt. Sein Vorgehen beschrieb Carl Petri so:
M: „Der Besuch der Angehörigen hat […] einen weiteren, äußerst wichtigen Zweck. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und alle hiermit zusammenhängenden Gesetze und Ausführungsbestimmungen stehen und fallen mit der Zusammenarbeit von Gesundheitsämtern und Heilanstalten und den Angehörigen der Kranken. (...) Es kann aber nicht an der Ausmerzung von Erbkrankheiten gearbeitet werden, wenn nicht alle Unterlagen vorhanden sind. Diese Unterlagen sind aber nur in mühsamer Arbeit von den Angehörigen (…) zu bekommen. Ich kann auf Grund meiner Erfahrungen (…) sagen, daß diese wichtigen Fragen nur dann zu lösen sind, wenn die Anstalt einen um sich herumliegenden Aufnahmebezirk hat und auf diese Weise die Angehörigen der Kranken gehört werden können.“
F: So wurden die Patienten und Patientinnen zu einer Art Köder, um den Kreis der Opfer zu erweitern. Die dabei von Petri erwähnten Unterlagen bestanden unter anderem aus rassenhygienischen Verhören der Angehörigen. Was in den Schreiben von Mönch und Petri außerdem deutlich wird: Der Mensch wird zum bloßen Objekt der NS-Rassenhygiene – und erleidet schwerste Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit und Autonomie.
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