Station: [104] Die Kirchstraße
M: Man mag es ihr nicht mehr ansehen, aber die Kirchstraße ist der älteste Teil des Dorfes. Bereits im 15. Jahrhundert befanden sich hier, verkehrsgünstig gelegen, eine Schmiede und ein Gasthaus, die sogenannte Steinhäusersche Tafern.
F: Der Name geht auf eine wohlhabende Patrizierfamilie aus Schwäbisch Gmünd zurück. Die Steinhäusers besaßen nicht nur die Schankwirtschaft, sondern obendrein auch ein kaiserliches Privileg. Und das erlaubte es ihnen – hört, hört! – Wein auszuschenken.
M: Aus der mittelalterlichen Tafern wurde später der Gasthof Reichsadler. Manch ein Besucher zeigt sich etwas irritiert über den Namen. Denkt gar Böses. Ein kurzer Blick in die Geschichte gibt aber Aufschluss. Der Name Reichsadler geht auf Kaiser Sigismund zurück. Dieser herrschte ab 1433 über das Heilige Römische Reich.
F: Er war es auch, der der Tafern das kaiserliche Ausschank-Privileg erteilte. Daher prangt bis heute der schwarze Doppeladler auf goldenem Grund über der Eingangstür. Das Symbol kaiserlicher Gewalt.
M: Um noch kurz im Mittelalter zu bleiben: Damals führte die sogenannte Reichsstraße an der Gaststätte vorbei. Sie verband unter anderem die Reichsstädte Gmünd und Nürnberg miteinander.
F: Reichstädte zeichneten sich dadurch aus, dass sie reichsunmittelbar waren, also direkt dem Kaiser unterstanden. Sie besaßen unter anderem das Recht, Maße und Gewichte festzulegen. 1433 gewährte Kaiser Sigismund den Gmündern zudem die Blutgerichtsbarkeit. Vor dem Blutgericht wurden schwere Verbrechen verhandelt wie etwa Mord, Raub, Falschmünzerei oder Gotteslästerung. Im schlimmsten Fall wurden die Beschuldigten zum Tode verurteilt.
M: Schauen wir uns aber jetzt die Kirchstraße etwas genauer an. Heute plätschert hier gemächlich der Mühlbach entlang. Der schattenspendende Weiden-Tunnel wurde zur Remstal Gartenschau 2019 angelegt. Dort, wo die Straße verläuft, fließt unterirdisch die Lauter. Früher war der Flusslauf noch offen. Zeitweise reihte sich in der Kirchstraße ein Geschäft ans andere: Es gab hier unter anderem einen Bäcker, einen Konditor, einen Metzger, einen Glaser und einen Maler. Und auch die erste Schule des Ortes stand ursprünglich hier.
Fotos: © Jürgen Bahnmayer