Station: [19] Luthers Sendbrief vom Dolmetschen
… denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprachen fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun…
Jawohl, diese Esel! Elende Pfaffen und gekünzelte Papisten und Sonntagsübersetzer! Wie Esel reden die! Ganz unerträglich. Aber weiter im Text:
… wie also diese Esel tun… sondern, man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt danach fragen, und den selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden…
Jawohl, aufs Maul sehen! Denn da kommt die Sprache raus und da ist sie noch authentisch und wahrhaftig. Denn wer soll denn schließlich meine Bibel verstehen? Doch nicht die vermaledeiten Pfaffen und Papisten! Nein!
Das muss ein Ende haben! Das Volk, die einfachen Menschen, für die ist die Bibel geschr… Hups! Oh! Verzeihung! Ich wähnte mich in meinem stillen Kämmerlein, ganz für mich allein… ich habe gar nicht gemerkt… dass Besuch eingetreten ist.
Katharina, hast du die Leute reingelassen? Ich wollte doch nicht gestört werden! Ihr müsst nämlich wissen – nichts für ungut – dass mir meine Übersetzung der Bibel so einiges abverlangt. Äußerste Konzentration! Und täglich aufs Neue die Gradwanderung zwischen Übertragung und Verfälschung.
Denn verfälscht… ha! verfälscht ist der Sinn unserer Heiligen Schrift nur allzu oft worden. Daher habe ich, Doktor Martinus Lutherus, Augustinermönch geboren im Jahr des Herrn 1483 zu Eisleben, ich habe mich aufgemacht, die Schrift in die Sprache des Volkes zu übertragen. Damit ein jeder sie verstehen und befolgen könne!
Das war eine ziemlich schwierige Angelegenheit, das kann ich Euch versichern. Denn in welche Sprache übersetzt man dieses Werk? Ins Niederdeutsche, das in meiner Geburtsstadt Eisleben gesprochen wird? Ins Hochdeutsche, das an der Universität Wittenberg gelehrt wird? In die Sprache der sächsischen Kanzleistuben?
Ich werde es euch sagen: in die Sprache des Volkes. Und wie man das macht – genau das schreibe ich hier gerade auf. Als Handreichung für alle Stümper, die nach mir kommen und mich kritisieren mögen. Ich erläutere, welchen Regeln eine gute Bibelübersetzung zu folgen hat… und im Übrigen auch die Übersetzung jedes anderen literarischen Werkes.
Dieses Büchlein – ich werde es „Sendbrief vom Dolmetschen“ nennen – wird sehnlich von der Gelehrtenwelt erwartet. Denn meine Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments sind, wenn ich das bei aller Bescheidenheit hier anführen darf, eingeschlagen wie eine Bombe!
So eine Sprache! Voller Kraft und Bilder! Das hatte die Welt noch nicht gesehen… äh gehört… äh gelesen… Jedenfalls, ich bin zuversichtlich – wiederum bei aller Bescheidenheit – dass meine Wortfindungen die deutsche Sprache für Jahrhunderte prägen werden!
Aber das liegt natürlich in Gottes Hand und Gnade. Denn auf die Gnade (und auf den Glauben!) – auf die kommt es an.
Daher auf Wiedersehen, auf Wiedersehen und verzeiht, wenn ich mich nun weiter meinem Werk widme. Die Welt soll es noch dieses Jahr zu lesen bekommen. Jetzt, mit der revolutionären Drucktechnik, die diese Gutenberg vor einem knappen Jahrhundert entwickelt hat, wird sich die Menschheit aus dem Joch der Papisten befreien. Einzig durch das Wort! Das gut übersetze, wohlbemerkt!
Alle Abbildungen: © Bibelgalerie Meersburg