Station: [20] Erich Heckel: „Hafeneinfahrt“ (1916)
Fast in Schockstarre stehen wir vor dem Kontrast zwischen blauem, wogenden Meer und roten, scharfkantigen Wolken. Es dauert einen Moment, bis sich der Blick von den bizarren Wolkenformationen lösen kann und über den Rest des Bildes schweift. Schmale Pfade schlängeln sich durch die Küstenlandschaft, vorbei an winzigen Häusern, auf die Dünen zu. Ein Gebäude – wahrscheinlich ein Leuchtturm – hält den angreifenden Wolkenfronten stand. Die kleinen Bäume hingegen biegen sich bedrohlich unter dem Küstenwind. Finden Sie nicht, dass die Begrenzungen der Fahrrinne förmlich auf den Horizont zu zurauschen scheinen? Unerbittlich lenken die zwei geschwungenen Linien unseren Blick zum brennenden Himmel. Erich Heckel war ein wichtiger Wegbereiter des deutschen Expressionismus. Sein Gemälde zeigt die Hafeneinfahrt der belgischen Stadt Ostende. Dieser Ort hatte eine besondere Bedeutung für den Künstler. Während des Ersten Weltkrieges war er dort als Krankenpfleger stationiert. Aus seinen Briefen wissen wir, dass Heckel in Ostende Kanonenschüsse und Maschinengewehrfeuer hören konnte. Die allgegenwärtige Bedrohung des Krieges konnte er daher nie völlig ausblenden. Und genau das spiegelt sich auch in den symbolhaften Landschaften aus dieser Schaffensperiode wider. Man kann die aggressiven, lodernden Wolken in der „Hafeneinfahrt“ in gewisser Weise als Verkörperung des Krieges verstehen – einem Unwetter gleich, kriecht der Krieg über das Meer nach Ostende.