Station: [11] Max Liebermann: „Ziegenhirtin“ (1887)
Ein junges Mädchen sitzt mit ausgetreckten Beinen auf einer Wiese. Sie trägt die Alltagstracht der holländischen Landbevölkerung: ein schwarzes Kleid, eine weiße Haube und schwere Holzschuhe. Finden Sie nicht auch, dass es so wirkt, als sei das Kind mit dem Land verwurzelt? Ihre Haltung und die klobigen Schuhe strahlen eine Schwere aus; nichts liegt ferner als die Vorstellung, das Mädchen könne im nächsten Moment aufspringen und davonlaufen Im Kontrast dazu steht ihre helle Haube, deren Farbtöne sich in der grasenden Ziege und im schmalen Himmelsstreifen wiederfinden. Durch diese gezielte Farbgebung angeregt folgt unser Blick dem der jungen Hirtin: auch wir schauen in die Ferne, wo sich der Horizont scheinbar endlos in die Weite zieht. Max Liebermanns Gemälde „Ziegenhirtin“ stammt aus einer Schaffensperiode, in der der Künstler die Lebens- und Arbeitswelten der holländischen Landbevölkerung ungeschönt-realistisch darstellte. Betrachtet man allerdings den stimmungsvollen Einblick in das ländliche Leben, bekommt man das Gefühl, dass es Liebermann hier bereits um etwas Anderes ging. Der Horizont im Bild ist ungewöhnlich hoch angesetzt, sodass die Wiese fast das gesamte Gemälde ausfüllt. Durch einen teilweise pastosen, fast abstrakten Farbauftrag vibriert die Graslandschaft in Grün-, Braun- und Gelbtönen. In „Ziegenhirtin“ zeigt sich also bereits Liebermanns außergewöhnliches Talent für das Einfangen atmosphärischer Momente. Im Laufe des folgenden Jahrzehntes entwickelte sich der Künstler zum bedeutendsten, deutschen Vertreter des Impressionismus.