Station: [24] Auf dem Weg in das in das vereinte Deutschland
Kalle:
Ich bin’s, der Kalle aus dem Stahlwerk.
Sie sehen ja, was passiert ist. Zur Wendezeit standen unsere Betriebe auf der Kippe und nicht alle haben es geschafft, in der Marktwirtschaft anzukommen. Auch unser traditionsreiches Stahlwerk nicht. Kein Wunder, total auf Verschleiß gefahrenen! Ja und dann Stahlpreis auf dem Weltmarkt im Keller, internationale Konkurrenz, Währungsunion und Zahlungsprobleme, da blieb nur die radikale Lösung: Abwicklung.
Zuerst hieß es: „Wenn das Stahlwerk zumacht, brennt die Elbe!“ und schwarze Fahnen wurden rausgehängt. Aber irgendwann war klar: Der Stahlstandort Riesa ist Geschichte. Das war ne schlimme Zeit. Eine ganz miese Stimmung in der Stadt. Und die Angst ging um. Fast in jeder Riesaer Familie bekam wenigstens einer seinen Lohn vom Stahlwerk. Viele, vor allem junge Leute, sind weggegangen.
13.000 Arbeitsplätze fielen weg. Ich hab noch Glück gehabt und bin in eine mehrjährige Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme gekommen. Aber Spaß hat das nicht gemacht: Ich habe meinen eigenen Arbeitsplatz abgerissen, unser altes Stahlwerk zerlegt und verschrottet– tausend und abertausend Tonnen Schrott abgefahren. Als dann die Schornsteine gesprengt wurden, dachte ich: Jetzt stirbt Riesa.
Aber zum Glück ist es dann doch nicht so schlimm gekommen. Irgendwann waren die 78 Hektar Stahlwerks-Gelände freigeräumt und zum Gewerbegebiet ausgebaut. Neue Unternehmen haben sich angesiedelt. Investoren sind tatsächlich gekommen, aus Italien, aus der Schweiz und natürlich aus den alten Bundesländern. Einige der Produktionshallen konnten übernommen, modernisiert und weitergenutzt werden. Viel wurde in die Industriestadt Riesa investiert und auch Stahl wird weiter in Riesa geschmolzen und verarbeitet. Dank Feralpi. Umweltschonend, versteht sich!
Auch Seife, Reifen, elektronische Bauteile und Öl werden nach wie vor in Riesa hergestellt. Und unsere Nudeln sind Marktführer im Osten! Auch neue Industriezweige sind dazu gekommen und behaupten sich am Markt. Nur die Beschäftigtenzahlen sind natürlich heute anders als noch vor dreißig Jahren. Und nach wie vor ziehen noch junge Leute weg. Dabei ist Riesa viel schöner geworden und sauberer. Sogar eine große Veranstaltungshalle haben wir – unsere Sachsenarena. Also, ich wohne gern in unserer Stadt!