Station: [10] Der Streit zwischen Bauern und Handwerkern
Gerichtsschreiber:
Erhebet euch und begrüßt unseren hochgnädigen Freiherren von Odeleben, Rittergutsbesitzer und oberster Gerichtsherr über die Bauern – und Bürgergemeinde des Städtles Riesa.
Felgenhauer:
Was liegt an? Es geht hoffentlich schnell?
Gerichtsschreiber:
Hochwohlgeboren, vor Gericht sind geladen und erschienen: der Kläger und zugleich Beklagte: Bauer Johann Steude. Bauer Steude, Johann ist anwesend?
Steude:
Anwesend, euer Hochwohlgeboren.
Gerichtsschreiber:
Setzt euch! Vor Gericht geladen und erschienen: Der Kläger und zugleich Beklagte: Böttchermeister Gottlieb Kalau.
Kalau:
Anwesend, Euer Hochwohlgeboren…
Felgenhauer:
Es sind beide Kläger und Beklagte zugleich?
Gerichtsschreiber:
Zwei Anzeigen – jeweils eine von dem einen gegen den anderen. Ich dachte, das kann man gleich in einem Ritt erledigen.
Felgenhauer:
Das ist recht, so spart man Zeit. Was ist vorzutragen?
Gerichtsschreiber:
Böttchermeister Kalau beginnt!
Kalau:
Sehr recht, euer Hochwohlgeboren! Also, mein mir gegenüberliegender Nachbar, was der Bauer Steude ist, treibt – so wie all die anderen Bauern – dreimal die Woche seine Kühe unsere Straße entlang. Also die Straße, wo wir Handwerker wohnen. Dies beschmutzt die Straße in einer Weise…
Steude:
Von wegen Straße, dass ich nicht lache! Das ist doch mehr ein Trampelpfad….
Gerichtsschreiber:
Schweigt, ihr seid nicht gefragt! Fahret fort, Handwerksmeister.
Kalau:
Nun ja, wie gesagt, die Viecher hinterlassen den ganzen Weg lang ihre Kuhscheiße! Und vor allem stinkt es unerträglich, euer Hochwohlgeboren.
Felgenhauer:
Wollt ihr etwa mit der Klage den Bauern den Zugang zu den Weiden hinter der Jahna verwehren?
Kalau:
Die können die Viecher gut auch über ihre Straße und dann durch die Jahna zu den Weiden treiben.
Steude:
So weit kommt´s noch! Totaler Schwachsinn ist das! Verzeiht, Euer Hochwohlgeboren!
Gerichtsschreiber:
Ihr erhaltet noch Gelegenheit zur Stellungnahme, Bauer Steude. Geduldet euch.
Felgenhauer:
Lasst ihn nur sprechen, das spart Zeit. Was habt ihr dagegen vorzubringen?
Steude:
Euer Hochwohlgeboren, die Viecher über unsere Straße und dann durch die Jana? Wo doch am Ende der anderen Straße an der Röhrbornmühle eine Brücke ist. Sollen sich unsere Kühe in der Jahna sämtliche Beine brechen und elendig zugrunde gehen? Woher bitteschön, sollen dann Milch und Fleisch kommen, euer Hochwohlgeboren?
Und außerdem, bedenkt, euer Hochwohlgeboren, auch die Handwerker sind nicht ohne Makel! Das Pech, welches der Böttchermeister kocht, um seine Fässer abzudichten, fließt so manches Mal den Berg hinunter auf unsere Wiesen.
Wir müssen dann jedes Mal das Gras vernichten, wenn wieder so ein Schwall den Pechberg herunterkommt. Das ist ein arger Verlust für uns, wo wir doch das Heu als Futter für den Winter dringend brauchen.
Kalau:
Jetzt sollen wir nicht mal mehr unsere Fässer auspechen? Wie soll‘n sie dann dicht werden? Schlimm genug, dass unsere Bäcker nur noch abwechseln backen dürfen – die auf der linken Straßenseite montags, mittwochs und freitags und die rechts dienstags, donnerstags und sonnabends. Nun sollen wohl auch noch die Böttcher nur halbe Arbeit machen?
Felgenhauer:
Das eine hat mit dem andern nichts zu tun, Böttchermeister. Das wisst ihr ganz genau. Die Bäcker teilen sich die Arbeit, damit jeder ein Auskommen hat. Ein bescheidenes zwar, aber immerhin! Also vergleicht nicht Äpfel mit Birnen und lenkt von eigenem Verschulden ab!
Kalau:
Verzeiht, Herr, doch wenn ich nun nicht mal mehr auspechen darf, kann ich doch gleich mein Handwerk aufgeben und mich als Knecht beim Bauern verdingen.
Steude:
So einen wie euch könnt kein Bauer gebrauchen!
Kalau:
Was sagt ihr da? Ihr seid wohl nicht gescheit, solch Worte hier zu treffen! So verklag ich euch gleich noch wegen Beleidigung!
Steude:
Hört auf, ihr seid doch blind vor Wut!
Felgenhauer:
Ich hab genug gehört, damit ich meinen Richterspruch tätigen kann! Schreiber, schreib´ auf!
Gerichtsschreiber:
Sehr wohl, euer Hochwohlgeboren. Zur Verkündung des Richterspruchs erhebt euch, Bauer Steude und Meister Böttcher!
Felgenhauer:
So höret mein Urteil:
Die Klage der Bürgergemeinde in Person des Böttchermeisters Kalau, wird abgewiesen. Begründung: Die Verunreinigungen durch den Viehaustrieb auf der Straße sind zu dulden! Der Versorgung mit Milch, Käse und Fleischwaren ist Vorrang zu geben.
Der Klage des Bauern Steude wird stattgegeben. Es kann nicht sein, dass Vieh im Winter Hunger leidet, weil Gras vernichtet werden musste.
Böttchermeister Kalau wird angewiesen, unverzüglich eine Rinne zu bauen, um das abfließende Pech aufzufangen!
Eine Urkunde zum Urteil wird ausgefertigt und zugestellt. Die Kosten des Verfahrens werden zu Teilen von 2 zu 1 auferlegt. Gesagt und verkündet. Die Verhandlung ist geschlossen.