Seit dem 7. November letzten Jahres präsentiert sich das Museum am Dom mit der seit der Eröffnung 2003 größten Um- und Neugestaltung der Ausstellungsräume der Dauerausstellung. Diese war notwendig geworden durch die in den letzten Jahren vielfachen großzügigen Schenkungen bzw. gezielten Neuerwerbungen, die so nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So finden sich nun rund 50 neue Werke in der Ausstellung, etwa weitere 15 Werke, die seit längerem nicht gezeigt wurden, gruppieren sich hinzu.
Betreten die Besucher die neue Ausstellung, so werden sie zunächst noch "an die Hand genommen" und mit fast klassischen ikonografischen Darstellungen ins große Gegenüber von Gott und Mensch eingeführt: Adam und Eva und ihre Vertreibung aus dem Paradies, die Menschwerdung und Epiphanie des Gottessohnes, die Rechtfertigung seiner bildlichen Darstellungen in der Tradition der Vera-Ikon Bilder und ihrer zeitgemäßen Umsetzungen bis in die Gegenwart. Doch schon gerät er - bereits eingeleitet durch Johannes Rochhausens leeres Atelierbild – mit Jürgen Wolfs "da", neben einem spätgotischen Gottvater befindlich, in ikonografische Verunsicherung: Man beginnt sich Fragen zu stellen und nachzudenken. Diese Aufforderung zum Nachdenken, die Ernst Barlachs "Sinnender" Gestalt verleiht, verstärkt sich in den folgenden Bildern: Bernhard Schultzes urkräftlich-schöpferisch-zerstörerischer "Moloch" - der kanaanitische Gott der alles versengenden Sonne, der in der Antike auch mit Saturn als Symbol des Goldenen Zeitalters, eines Paradieszustandes, bzw. mit Chronos identifiziert wurde - korrespondiert mit dem "Globus" von Thomas Virnich ebenso wie mit Otto Pienes "Der Regenbogen brennt II". Diese Lichtmetaphorik wird weitergeführt bei Helmut Middendorfs !"Stillleben", dem "Tod des Ikarus" von Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuers "Abziehendes Gewitter". Die Bilder reflektieren so die gegenüberliegende Wand mit dem "Licht, das in die Welt kam" (frei nach Joh.12,46) bzw. die Beziehung Gottes zu den Menschen, die im Alten Testament mit dem Regenbogen versinnbildlicht wurde.
Dieses Mit- und Gegeneinander von alter und neuer, ikonografisch vertrauter und inspirierend gegenübergestellter Kunst, zieht sich so weiterhin konzeptuell durch das gesamte Museum. Matthias Kroths großformatiges Bild "Tod und Auferstehung" führt den Besucher in menschliche Grunderfahrungen und christliche Heilsbotschaft ein: Leid, Schmerz, Verlust, Verlassensein und deren Überwindung, Erlösung und Hoffenlassen. Die Dreidimensionalität und Lebensgröße der freistehenden Skulptur "Ohnmacht" von Andreas Kuhnlein, lädt ein, sich mit dieser Figur zu identifizieren und in Korrespondenz mit Tanja Stelzers Bild "Nacht" zu treten. Am Ende gibt Giovanni Manfredinis "Versuch einer Existenz- Die äusserste Seite der Dunkelheit" den Hoffnungsschimmer mit der aus dem Dunkel ins Licht angezogenen Figur.
Im mittleren, zentralen Raumteil zeigen Kreuzigungsdarstellungen die unterschiedeliche Herangehensweise an das Thema: schmerzvoll verzerrte, das Leid nur schwer ertragende (Cäsar W. Radetzky), aber auch scheinbar geduldig auf sich nehmende Christusfiguren (Tilman Riemenschneider), kämpferisch das Schicksal in die eigenen, vom Kreuz sich lösenden Hände nehmen wollende (Fritz Cremer, Wolfgang Mattheuer) oder gar revoltierende Gekreuzigte (Gudrun Brüne) bzw. auch das Fehlen des Gekreuzigten (Herrmann Nitsch) bzw. seines Gesichtes (Michael Triegel): eine Aufforderung, sich an dessen Stelle zu denken, sich hineinzuversetzen. In den angegliederten Raumteilen wird das Thema mit Tod und Auferstehung weitergeführt. Zwei der neu in die Sammlung gestifteten Arbeiten von Maria Lehnen sowie eine von Barbara Back arbeiten mit der Thematik der Verhüllung /Verschnürung - dem Gefangensein und Sich-Daraus-Befreien. Das gotische Tafelbild mit der Auferweckung des Lazarus ermöglicht einen sofortigen Anküpfungspunkt und eröffnet Deutungsmöglichkeiten.
In dem Bereich, der sich der Marienthematik widmet, hebt sich als Neuerung Gudrun Brünes "Rote Madonna" hinter den Marienköpfen von Jürgen Raiber hervor. Das visuelle Spiel zwischen den aufgetürmten Puppenköpfen im Bild und den skulpturalen Köpfen davor zieht den Betrachter unmittelbar in das Geschehen hinein. Ein Geschehen, das eine apokalyptische Schlacht oder Krieg assoziiert, verbunden mit einer Hoffnung und Heil verströmenden, roten Madonna, die als Apokalyptisches Weib verstanden werden kann.
Nach Maria als erster unter den Heiligen, kommt man im weiteren Rundgang zu den Darstellungen weiterer. Hier behauptet sich Stephen Kass' fast nur durch den Titel zu erschließende Werk "Petrus" neben Tilman Riemenschneiders heiligem Kilian. Jannis Kounellis Objektinstallation, die vier Schuhe mit farbigen Glassteinen zeigt, kann als Auftrag zur Nachfolge Christi, bzw.in die Fußstapfen (hier Schuhe) zu treten, interpretiert werden und ver(sinn)bildlicht dies, selbst, wenn es vom Künstler so nicht intendiert ist. Hier zeigt sich, wie sehr die Stellung des Objektes im Raum neue Zusammenhänge eröffnet und anders erschließt.
In dem der Liturgie gewidmeten Raumkubus sind drei neu hinzugekommene Werke beachtenswert: ein ungewöhnliches Ziborium von Friedrich Press mit einer Abendmahlsdarstellung, das mit dem darüber befindlichen Entwurf eines Kuppelgemäldes mit Abendmahl von Georg Anton Urlaub oder Johann Zick korrespondiert. Das dritte Werk ist Albert Schillings "Gefäß der Stille", das zur großzügigen Stiftung des Nachlasses gehört.
Mit den "Himmlischen Ausblicken" von Ben Willikens bzw. eines süddeutschen Meisters und den Engelsdarstellungen als göttlichen Boten schließt der Rundgang. Hier werden einige Zeichnungen aus der umfangreichen Stiftung des jüdischen Künstlers Yehuda Bacon präsentiert und den künstlerischen Ausffassungen der Thematik von Keith Haring, Friedrich Press, Johan Tahon und Johann Peter Herrlein gegenübergestellt.
Christoph Deuter