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Geschichte am Nachmittag
Vortrag von Dieter Bauke
Im Jahre 1608 wurde durch den Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß j. L. das Geraer Gymnasium Rutheneum gegründet, die davor liegende Ausbildung der Schüler oblag der Stadtschule (Bürgerschule), die in das Gymnasium aufging, also als Vorläufer zu gelten hat. Eine erste Ratsschule in Gera wird 1457 urkundlich erwähnt, ein kleines, zweistöckiges Haus am Kirchplatz oder Schulplatz (heutiger Johannisplatz). Eine Schulpflicht gab es nicht. Die Schüler lernten notdürftig lesen, beten und singen nach Gehör (schreiben und rechnen waren für die Absolvierung der Hilfsdienste in der Kirche nicht nötig und nur materialintensiv lehrbar). Die vielen Schulvisitationen ab 1533 zeigen auch, dass ältere Schüler die jüngeren zu unterrichten hatten. (Im Gegensatz zu anderen großen Handelsstädten wie Erfurt oder Leipzig wirkten in Gera auch keine professionellen Rechenmeister.)
Auch Heinrich Posthumus erhielt in Gera (und auch bei senem Jura-Studium) keine weitergehende Ausbildung im Rechnen. Und seine Schrift war, „als sei ein Hühnlein mit geschwärzten Beinlein übers Papier spazieret“. Aber um 1600 fasste er den Plan zur Errichtung einer Landesschule in Gera. Aber wie ist dort um den Rechenunterricht bestellt?
Rektor Mitternacht untersucht 1649 die Gründe, warum von einer so großen Anzahl Schüler des Gymnasiums nur so wenige zu einer soliden gelehrten Bildung gelangen. Er gibt als den eigentlichsten und hauptsächlichsten Grund die Vernachlässigung der Grammatik an; ein zweiter Grund sei noch die Vergnügungssucht, besonders der Hang der Studierenden zum Trinken. Alle anderen Gründe sind für ihn nicht stichhaltig. Mit aller Macht eifert er gegen Leute, die auf dem Gymnasium vorwegnehmen, was auf die Universität gehört, nur um mit ihrer Weisheit zu prunken. Besonders verwerflich sei es, mit Gymnasiasten metaphysische oder mathematische Subtilitäten zu traktieren.
Tatsächlich reicht die gymnasiale Ausbildung derzeit bis zum „kaufmännischen Rechnen“ in den beiden obersten Klassen, zusammen eine Stunde pro Woche. (Das Niveau entspricht einem heutigen Hauptschulabschluss.) Unter Rektor Goldner wurde im Anfang des 18. Jahrhunderts das Fehlen der Mathematik als ein großer Mangel empfunden. „Da nämlich die Schüler allein nach ihren Kenntnissen in den alten Sprachen versetzt wurden, so kamen eine Menge Ignoranten in der Mathematik zum Abiturexamen, die nicht einmal die Elemente begriffen hatten.“ Erst spät wurde dieser Zustand geändert.
Also: Eine schulische Ausbildung im Rechnen fand in Gera um 1600 fast nicht statt. Geraer Bürger schickten ihre Söhne zum Lesen- und evtl. Schreibenlernen in die Ratsschule, die weitere Ausbildung wurde im Familienbetrieb und auf der Wanderschaft erworben. Für die Hof- und Staatsverwaltung wurden ausgebildete Fachkräfte angeworben und eingestellt. Wir können davon ausgehen, dass die Handwerker und Kaufleute wie auch die Ministerialen der Verwaltung innerhalb ihrer Kreise ausgebildet wurden (Dreisatz, Prozent-, Zins- Währungsrechnen waren notwendige Instrumente wirtschaftlicher und Verwaltungstätigkeit).
Die Gründung des Gymnasiums 1608 änderte an diesen Zuständen nur wenig. In den oberen Klassen wurde ein Minimum kaufmännischen Rechnens unterwiesen, ohne Bezug auf ein Lehrbuch. Der Mangel solchen Fehlens mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung am Gymnasium wird erst nach 1650 langsam spürbar und viel später gelindert.
Veranstaltungsreihe des Fördervereins Stadtmuseum Gera e.V.