Station: [7] Die Rolle der Kirche
F: Es ist Sonntag, der 3. August 1941. In der katholischen Kirche St. Lamberti setzt der Bischof von Münster zu seiner Predigt an. Es sollte eine Predigt für die Geschichtsbücher werden. Denn öffentlich prangert Bischof Clemens August Graf von Galen die Euthanasie-Morde in den deutschen Heil- und Pflegeanstalten an:
M: „Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invalide in die Heimat zurückkehren.“
F: Rund drei Wochen nach der Predigt lässt Adolf Hitler die „Aktion T4“ stoppen. Ein Sieg scheint errungen. Doch schon wenig später wird das Krankenmord-Programm wieder aufgenommen, inoffiziell und dieses Mal mit „leiseren Methoden“. Von Galen wird währenddessen als "Löwe von Münster" populär. Dass er damals nicht verhaftet wird, ist vor allem das Verdienst der Katholiken seines Bistums.
M: Und in Oldenburg, wie fällt dort die Reaktion der evangelischen Kirche aus? Gibt es einen Aufschrei, einen Protest? Immerhin findet hier das systematische Sterben direkt vor der Tür statt.
F: Was unternimmt Pastor Heinrich Brinkmann? Immerhin ist er zu dieser Zeit der Seelsorger der Heilanstalt Wehnen und der Kirchengemeinde Ofen. Ein Schreiben vom März 1943 gibt Aufschluss:
M: Betr: Vergrößerung des Friedhofs
Zufolge der zahlreichen Sterbefälle in der Heil-und Pflegeanstalt Wehnen […] ergeben sich für die Kirchengemeinde in der Friedhofsfrage unerträgliche Schwierigkeiten, da für Wehnen nur noch ca. 200 Gräber zur Verfügung stehen. (…) Laut Verfügung des Reichsministeriums dürfen Kirchengemeinden jetzt keine Vergrößerung ihrer Friedhöfe vornehmen, wozu auch hier kaum eine Möglichkeit besteht. Die Zahl der Todesfälle in Wehnen wird aber voraussichtlich infolge der Übernahme von Schwerkranken aus Krankenhäusern in Wilhelmshaven eher zu- als abnehmen. Die Angelegenheit bedarf einer möglichst baldigen Erledigung, ehe es zu spät ist.
Pastor Brinkmann
F: Pastor Heinrich Brinkmann blendet das Hungersterben in der Heilanstalt Wehnen aus und sucht stattdessen nach Vorwänden. Nicht die Hungermorde seien der Grund für die erhöhte Sterblichkeit, sondern die Übernahme von körperlich Kranken. Seine Sorge gilt in erster Linie – dem Gräbermangel.
Foto: © Darwin: Messrs. Maull and Fox/ Gescanned von Karl Pearson, The Life, Letters and Labours of Francis Galton