Station: [10] Das Pflegepersonal


M: Die Bettenkapazität: weit überschritten. Die hygienischen Zustände: unmenschlich. Der Zustand der Patienten: katastrophal. In der Heilanstalt Wehnen standen Hunger, Krankheit und Tod auf der Tagesordnung. Wie muss das wohl gewesen sein, in einer solchen Anstalt als Krankenschwester zu arbeiten? Denkt man an das Leid der Patienten? Den Hunger? Das bewusst herbeigeführte Sterben? Fühlt man sich verantwortlich? Will man sich daran überhaupt erinnern? In der Anstalts-Chronik von Christel Maeder aus dem Jahr 1991 wird von einer Krankenschwester berichtet.

F: „Frau Z. ist jetzt 80 Jahre alt, wirkt aber äußerlich und geistig wie eine 60-Jährige. Sie bewarb sich 23-jährig in Wehnen, wo sie 1935/36 fast zwei Jahre lang ohne Ausbildung in der psychiatrischen Krankenpflege arbeitete:

Ein normaler Arbeitstag begann um 7 Uhr und endete um 20 Uhr. In dieser Zeit wurden natürlich die Mahlzeiten eingenommen. Der Monatsverdienst betrug im August 1936 37,11 Reichsmark netto und wurde von der Empfängerin als gute Bezahlung empfunden.

An die Ärzte kann sich Frau Z. kaum noch erinnern. Sie und ihre gleichgestellten Kolleginnen hatten keinerlei Kontakt zu ihnen und wurden nicht etwa vom Arzt nach dem Ergehen der von ihnen ständig betreuten Kranken oder nach ihren Beobachtungen gefragt. Im Gegenteil, bei der Visite hatten sie sich möglichst unsichtbar zu machen. Kamen sie hinterher wieder aus ihren Ecken hervor, erschienen ihnen die ärztlichen Anordnungen im Einzelfall oft unsinnig und völlig unangebracht.

Trotzdem denkt Frau Z. heute rückblickend gerne an ihre Zeit in Wehnen zurück. Es sei das schönste Jahr ihrer Jugendzeit gewesen. Das Zusammensein mit anderen jungen Mädchen und den Schwestern, etwas anderes hören und sehen als bisher, die in ihren Augen reichliche Frei-zeit, das selbst verdiente eigene Geld, während Bargeld zu Hause immer äußerst knapp gewesen war – das alles machte das Schöne und das bescheidene Glück dieser Zeit für sie aus.“

Foto: © Psychiatrie im „Dritten Reich“ in Niedersachsen. Begleitmaterial zur

Wanderausstellung [Autor und Gesamtgestaltung der Ausstellung: Dr. Raimond Reiter, Universität Hannover, http://www.r-reiter.de], Januar 2008, S. 11.