Station: [14] Brüdersaal
M: Dieser Raum wird heute als „Brüdersaal“ bezeichnet. Er ist einer von ganz wenigen im Stift mit einem Kamin. Deshalb ist zu vermuten, dass die Chorherren hier Tätigkeiten ausübten, bei denen man sich nicht durch Bewegung warmhalten konnte. Der Raum mit der mächtigen Mittelsäule hat vielleicht als Schreibstube oder Lehrstube für die künftigen Chorherren, die sogenannten Novizen, gedient. Klöster waren in einer Zeit der Analphabeten auch ein Hort der Schriftkultur. Hier wurden mit der Schreibfeder auf Pergament Briefe abgefasst, religiöse Texte aus Folianten abgeschrieben sowie geschäftliche und juristische Urkunden unterzeichnet.
F: Nach dem Ende der Stiftszeit wird dieser Raum selbstverständlich weiter genutzt. Nur eben ganz anders als bisher: Zunächst wird er zum Backhaus der Domäne. Später, im 19. Jahrhundert, stellte man dort, wo einst die klösterlichen Schreiber gesessen hatten, vier große Gärbottiche auf. Sie wurden auf extra aufgemauerte Fundamente gestellt. Auf dem Boden sind heute noch Überreste davon zu sehen. Diese Bottiche gehörten zur Spritbrennerei. Fast 200 Jahre lang wurde in Jerichow aus Getreide Alkohol destilliert. Die alkoholischen Dämpfe zogen durch eine Luke in den einstigen Kreuzgang hinaus. Als Rohstoff wurde der Alkohol nicht nur für die Schnapsherstellung gebraucht, sondern auch für die Herstellung von Produkten wie Parfüm, Reinigungsmitteln, Farben und Medikamenten. Nachdem die Gärbottiche Anfang der 2000er-Jahre entfernt worden waren, legten Archäologen mit Hilfe von Schülern des Gymnasiums Genthin den mittelalterlichen Fußboden wieder frei. An der Mittelsäule ist bis heute das zwischenzeitliche, höhere Fußbodenniveau ablesbar.
Foto: © Stiftung Kloster Jerichow