Station: [4] Das Schutterer Evangeliar und das Büchermachen
Maus: Hier im Museum gibt es Bilder von einem in Schuttern geschriebenen Buch, das schon über 1200 Jahre alt ist. Es heißt das Schutterer Evangeliar.
Kleiner Mönch: Warum zeigen die nicht das Buch selbst?
Maus: Wo denkst du hin? Das ist viel zu wertvoll. Außerdem liegt es in London, das ist in England.
Kleiner Mönch: Dann sollen sie halt andere Bücher zeigen. Ich weiß, die meisten sind 1240 beim großen Klosterbrand verkohlt. Das waren unersetzliche Kostbarkeiten; unser Magister Albertus hat sie noch als Kind gesehen. Aber nach dem Brand haben wir doch schon wieder neue Bücher gemacht und ein paar von denen sind echt super. Schließlich können hier alle lesen und die meisten auch gut schreiben.
Maus: Kunststück! Lesen und schreiben ...
Kleiner Mönch: Das sag mal nicht. Außer Mönchen und Nonnen und noch ein paar anderen Geistlichen konnte viele Jahrhunderte lang niemand schreiben. Auch die Könige nicht.
Maus: Wie bitte? Nicht mal der König selbst?
Kleiner Mönch: Der nicht. Aber die Mönche in Schuttern. Wir lernen das alle von Kind auf. Das ist wahnsinnig anstrengend, kann ich dir sagen. Tinte machen aus ausgekochter Dornenrinde oder Farbe aus getrockneten Pflanzen. Wer begabt ist, darf auch nach Vorlagen zeichnen üben. Ich hab schon Engel nachgemalt und Drachen und sogar ein Blatt, auf dem ein Oblate und eine Maus zusammen in der Schreibstube abgebildet sind.
Maus: Also mich könntest du nicht lange mit einer Oblate abbilden. Die würde ich gleich fressen.
Kleiner Mönch: Ohh, jetzt bekomme ich aber Angst ... Im Ernst: Du Winzling kannst doch keine Oblaten fressen.
Maus: Und ob, das habe ich schon oft gemacht. Am liebsten mit Kokosmakronen drauf.
Kleiner Mönch: Da liegt wohl ein Missverständnis vor. Bei uns im Kloster ist ein Oblate ein Kind, das die Eltern Gott geschenkt haben, damit es Mönch oder Nonne wird. Ich bin ein puer oblatus, ein Gott dargebrachter Bub. Auf deinen Oblaten ...
Maus: ... das sind so dünne weiße Gebäckplättchen, superlecker ...
Kleiner Mönch: ... wird offenbar süßes Backwerk den Gästen dargebracht.
Maus: Und die Mauskollegin auf deinem Schreibstubenbild, frisst die auch Gebäck?
Kleiner Mönch: Wie soll sie? Wir haben doch nichts zu essen in der Schreibstube! Essen darf man nur zweimal am Tag und immer nur im Refektorium. Die Maus knabbert die Bücher an. Deshalb ärgert sich der alte Schreibermönch auch so und will was nach ihr werfen. Der kleine Mönchsbub malt ruhig weiter und freut sich, dass der Meister nicht trifft.
Maus: Ja, Mäuse und Mini-Mönche waren schon immer eher Kumpel ...
Kleiner Mönch: Du, ich hab ne Idee. Wenn Du doch so viel über das Kloster Schuttern nach meiner Zeit weißt – kennst Du auch den berühmten Buchmaler Hesso? Vielleicht ist sogar ein Buch von mir hier im Museum?
Maus: Es gibt überhaupt nur noch zwei im Kloster Schuttern geschriebene Bücher aus dem Mittelalter. Das Evangeliar in London und ein Messbuch in Colmar.
Kleiner Mönch: Was, nur noch zwei? Wo sind denn all die andern Bücher hingekommen?
Maus: Verbrannt, verkauft, gestohlen. Im Kloster Schuttern gab es nach deiner Zeit noch fünf Großbrände und Überfälle, und die Mönche mussten Bücher verkaufen für Baumaterial und ein bisschen Essen.
Kleiner Mönch: Aber wenn alles weg ist, woher wisst ihr überhaupt etwas über unser Mittelalter?
Maus: Manchmal haben die Mönche eine Liste an ein anderes Kloster geschickt mit den Namen der Brüder, die in Schuttern im Kloster lebten oder gerade gestorben waren. In den anderen Klöstern blieben diese Schutterer Namenslisten erhalten. Und ungefähr zu der Zeit, als Martin Luther lebte, hat der Schutterer Mönch Paul Volz eine Klosterchronik geschrieben und dafür ältere Bücher benutzt, bevor sie später verbrannt sind.
Foto: Eine der faksimilierten Seiten des Evangeliars, Bildrechte: Herkunft: London, British Library. Rechte: Gemeinfrei