Station: [22] Der Brauch der Nachgeburtsbestattung
F: Es ist 1984. Mitglieder der historischen Gesellschaft Bönnigheim machen sich, unter der Leitung von Kurt Sartorius, im Keller des Hauses an der Michaelsbergstraße 17 - 19 zu schaffen. Das alte Haus soll abgerissen werden. Letzte Chance also, es noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer weiß, vielleicht lassen sich neue Erkenntnisse zur Ortsgeschichte gewinnen.
M: Und tatsächlich, sie stoßen auf etwas. Im Boden des Kellers sind kleine Töpfe vergraben. Sie sind von einer bis zu zehn Zentimeter dicken Erdschicht bedeckt. Was auffällt: die Gefäße wurden vor allem an der Ostseite des Hauses vergraben.
F: Einige Töpfe sind mit einem Deckel verschlossen, von anderen hat sich lediglich der Boden erhalten. Manche scheinen absichtlich zerstört worden zu sein. Insgesamt werden rund 50 Gefäße in dem Keller gefunden. Was konnte es mit diesem seltsamen Fund wohl auf sich haben?
M: Kurt Sartorius forscht weiter und stößt auf einen Aufsatz. Der Titel: „Sitte und Brauch bei Geburt, Taufe und in der Kindheit“. Erschienen ist er in dem Buch „Volkstümliche Überlieferungen in Württemberg“. Das Buch wurde 1904 veröffentlich, Herausgeber ist ein gewisser Karl Bohnenberger. In dem Aufsatz beschreibt ein Pfarrer den alten Brauch der Nachgeburtsbestattung.
F: Früher glaubte man, in der Plazenta lebe ein magisches Wesen. Eine Art Schutzengel für das Kind. Gehe es diesem Wesen schlecht, habe das auch Folgen für das Kind. Es drohe Krankheit, und im schlimmsten Fall gar der Tod. Daher müsse die Plazenta mit Ehrfrucht behandelt und im Keller bestattet werden – sozusagen der Mutter Erde zurückgegeben werden. Dazu schreibt der Arzt Gottfried Lammert 1869:
M: „Der Mutterkuchen soll nicht an einem unreinen Orte, im Abtritte oder Miste, ausgeschüttet werden, sondern in fließendes Wasser geworfen werden oder in die Erde gegraben werden; dann wird Mutter und Kind gesund bleiben“.
F: Und in einer Fußnote schreibt er weiter.
M: „In alten Zeiten wurde die Placenta in besonders geformten Töpfen in die Erde verscharrt.“
F: Damit scheint das Rätsel um die vergrabenen Töpfe gelöst zu sein.
Foto: © Förderverein Museum im Steinhaus e.V.