Station: [15] Das Bähnle kommt


M: 1898 kam die Moderne nach Altenheim gedampft!
Die Mittelbadische Eisenbahn – das „Bähnle“! Die Schmalspurbahn verband Straßburg, Offenburg und Lahr… und hielt auch in Altenheim.Mit dem Bähnle kam auch das Ende der Postkutsche, die jahrhundertelang Menschen, Briefe und Waren befördert hatte. Und obwohl der neuartige Transport auf Schienen schnell eine enorme wirtschaftliche Bedeutung gewann und beispielsweise den Tabakhandel erheblich erleichterte… war die Begeisterung über den technischen Fortschritt nicht einhellig. 

Michel: Ach, Marie Schätzel, jetzt fährt das Bähnle schon zwei Monate und nichts ist passiert. Alle Passagiere sind heil angekommen.

Marie: Das kommt mir nicht in Frage!

Michel: Sie sind nicht nur heil angekommen, sie haben auch berichtet, was für ein außerordentliches Erlebnis so eine Bähnle-Fahrt ist.

Marie: Ausgeschlossen!

Michel: Aber Marieli, du musst ja gar nicht mitkommen. Ich fahr auch allein nach Offenburg. Nur lass es mich wenigstens ein Mal ausprobieren. 

Marie: Die Antwort ist: nein!

Michel: Ein einziges Mal! Nur um zu sehen, wie es sich anfühlt… wenn der Heizer Kohlen nachwirft, der Druck steigt und dann… dieses Wunderwerk der Technik sich in Bewegung setzt… Tonnen von Stahl… die so mir nichts dir nichts durch die Landschaft gleiten…

Marie: Michel, du übertreibst! Ausgeschlossen, du steigst mir da nicht ein! Das ist viel zu gefährlich. In dieser halsbrecherischen Geschwindigkeit bis nach Offenburg zu rasen. Das kann nicht gut für die Nerven und den Kreislauf sein!

Michel: Aber Marieli…

Marie: Und all die Menschenmassen! Die sich quetschen und drängen… in dieses… Monstrum.
Hast du nicht gehört, was für unheimliche Geräusche das Bähnle macht?

Michel: Was ist denn daran unheimlich? Das ist der Dampf, der aus den Zylindern kommt… so wie bei deinem Kochtopf.

Marie: Michel, ich sage dir: Das Ding hat eine Seele. Und einen Atem. Und einen Herzschlag. In ihm sitzt der Leibhaftige, da kannst du sicher sein, Michel!

Michel: Aber Marie Schätzel, das ist doch – mit Verlaub – Unsinn. Das Bähnle ist aus Stahl und Eisen und sonst nichts. Und der Franz, unser neuer Bahnhofsvorsteher, der hat mir bestätigt: Vom Bähnle geht keine Gefahr für die Passagiere aus. Ach, Marieli, lass mich doch wenigstens ein Mal mit dem Bähnle fahren. Danach gebe ich Ruhe! Übermorgen, wenn ich nach Offenburg muss, um Eier und Butter zu verkaufen. Schau, dann wäre ich auch weniger lange unterwegs. Sonst, wenn ich laufen tät, wie immer, müsst ich in der Früh loslaufen und wäre erst zum Abendessen wieder da. Aber mit dem Bähnle… könnte ich dir am Nachmittag vielleicht noch auf dem Feld zur Hand gehen. Dann müsstest du nicht alles allein besorgen… Schätzel?

Marie: Na schön, sonst gibst ja doch kei Ruh! Du darfst das Bähnle nehmen – auf eigene Verantwortung! Aber nur auf dem Hinweg! Dann hast du, was du willst. 

Michel: Aber Marie…

Marie: Und auf dem Rückweg, da läufst du mir brav nach Haus, so wie wir es schon immer gemacht haben. Bähnle hin, Bähnle her.

Michel: Aber Marie…

Marie:  Und dass du mir nachher nicht noch faul in der Sonne herumsitzt!

Michel: Marie, wie könntest du…

Marie: Keine Widerrede! Eine Strecke wird gefahren, die andere gelaufen. Das ist mein letztes Wort!

 

 

Fotos: © Heimatmuseum Neuried