Station: [4] Das Geheimnis der Palast-Villa
M: Eine gewaltige Villa. Inmitten eines abgelegenen Tales. Mitten in der Provinz Germania Superior. Nur wenige Kilometer von jener Grenze entfernt, die das kultivierte Rom und sein riesiges Imperium von den barbarischen Germanen trennt.
F: Wem hat diese imposante Villa gehört? Wer hat sie gebaut? Wer hat hier gelebt?
M: Aenigma perpetua esse volo. Ein ewig Rätsel will ich bleiben.
F: Bislang konnte keine Inschrift und kein Objekt einen sicheren Hinweis darauf geben, wer die einstigen Hausherren waren. Was man weiß:
M: Die Anlage hier in Cruciniacum, wie das römische Bad Kreuznach hieß, ist die bisher größte bekannte Villa nördlich der Alpen. Ihre Größe, Form und luxuriöse Ausstattung sind außergewöhnlich und nur vergleichbar mit einem Palast.
F: Womöglich liefert die Architektur der Villa einen Anhaltspunkt!?
M: Diese erinnert an Vorbilder aus dem Mittelmeerraum. Charakteristisch ist die Symmetrie des Gebäudes – die Ausrichtung an einer Blickachse, der offene mit Säulen umgebene Innenhof sowie die kleinen Gärten, die zur Villa gehörten.
F: Man kennt solche Elemente besonders gut aus Pompeji. Klar ist: die Villa wurde nicht als landwirtschaftliches Gut, als „villa rustica“, genutzt, sondern als herrschaftlicher Sitz, als Palast-Villa.
M: Wer kommt als Erbauer in Betracht? Manche mutmaßen, es sei ein reicher Händler gewesen.
F: Einer, der mit teuren Luxusgütern gehandelt habe, mit Speisefischen, Olivenöl und Austern aus dem Mittelmeerraum. Vielleicht auch mit Salben, Düften oder anderen begehrten Waren aus Klein- und Vorderasien oder Nordafrika? Oder hat er gar mit Menschen gehandelt, mit Sklaven und Gladiatoren?
M: Die im Oceanusmosaik gezeigten Schiffs- und Handelsmotive würden zumindest darauf hinweisen. Genauso wie die kleinen Amphoren, die im Mosaik abgebildet sind und von denen man vergleichbare Exemplare in der Palast-Villa fand. Leider aber ohne Inhalt.
F: Nach den archäologischen Funden zu urteilen, spielte Fisch als Speise keine große Rolle. Das macht die These vom reichen Fischhändler also eher unwahrscheinlich.
M: Eine andere Möglichkeit: die Palast-Villa diente als Kult-Zentrum. Vielleicht eines Mysterien- oder Totenkults. Womöglich wurde in den Räumlichkeiten einem Gott oder einer Göttin gehuldigt.
F: Einzelne Darstellungen in den Mosaiken sowie die Kombination der Gottheiten Oceanus und Cernunnos könnten damit in Zusammenhang gebracht werden.
M: Womöglich war die Villa der herrschaftliche Landsitz des Provinzstatthalters, eines Finanzverwalters oder Steuereintreibers. Vielleicht gehörte sie einem hochrangigen Militär oder war gar ein Rückzugsort für die kaiserliche Familie.
F: Die Provinzhauptstadt Mogontiacum, das heutige Mainz, war jedenfalls nur etwa einen Tagesmarsch entfernt. Und die Provinzhauptstadt war zugleich ein wichtiger Militärstandort. Zeitweise waren dort bis zu sechs Legionen der römischen Armee stationiert. Des Öfteren residierten auch die römischen Kaiser in Mogontiacum, unter anderem die Herrscher der severischen Dynastie sowie die späteren Soldatenkaiser.
M: Die Lage fernab der Stadt, im Niemandsland von Germania Superior, an der Nahe – übrigens ein keltischer Name, der so viel wie Wilder Fluss bedeutet – die besondere Größe und der Reichtum der Villa – all das bleibt wohl ein Geheimnis.
F: Was in jeden Fall bemerkenswert ist: Ab etwa 270 nach Christus kam es immer öfter zu Überfällen der germanischen Stämme, bis schließlich die Grenze, der Limes, endgültig fiel. Unsere Palast-Villa wurde aber nicht etwa überhastet aufgegeben, sondern ordnungsgemäß von den Hausherren geräumt. Das deutet auf ihre enorme Bedeutung hin.
M: Für Archäologen allerdings kein gutes Pflaster. Denn durch diesen geordneten Rückzug blieb nur wenig in der Villa zurück. Vielleicht haben Sie ja eine Idee warum, wer und wieso hier gebaut und gelebt hatte?
Foto: © Römerhalle Bad Kreuznach