Station: [10] Ein Weihestein für Kybele


M: Ein unscheinbarer, verwitterter Quader aus rauem Sandstein. Nur etwa 50 Zentimeter hoch und 30 Zentimeter breit. Dazu eine schlecht leserliche Inschrift. 

F: Was kann es mit diesem Stein schon groß auf sich haben? 

M: Ach, eine ganz Menge. Denn wenn man die lateinische Inschrift erst mal entziffert hat, erfährt man folgendes: 

F: „Der Mutter der Götter. 

Calvisia Secundina (hat) ihr Gelübde willig und froh (erfüllt) gemäß dem Verdienst (der Göttin).“

M: Hinter dieser „Mutter der Götter“, dieser Magna Mater, verbirgt sich eine Göttin mit dem Namen Kybele. Vor rund 2.000 Jahren war der Kybele-Kult im gesamten römischen Reich weit verbreitet. Der Weihestein hier vor uns stammt aus dem 3. Jahrhundert nach Christus. Ursprünglich gehörte er zu einem Altar, später wurde er jedoch im Kastell von Cruciniacum verbaut. 

F: In den germanischen Provinzen hatte der Kybele-Kult vor allem in der Zivilbevölkerung viele Anhänger. Beispielsweise unter den „romanisierten“ Germanen und Kelten, die im römischen Imperium lebten und teilweise das römische Bürgerrecht besaßen. Die großen Zentren für die „importierten“ orientalischen Kulte waren Mainz, Trier und Köln. 

M: Aber auch für die Römer selbst spielte Kybele eine wichtige Rolle. Als um etwa 200 vor Christus Hannibal – der berühmte karthagische Feldherr – mit seinen Truppen über die Alpen gezogen kam, machte sich Angst breit. Die Römer suchten Rat – unter anderem in den Sibyllinischen Büchern, einer Sammlung von Orakelsprüchen. Folgende Weissagung schien ihnen den Sieg zu versprechen schien: 

F: Dir fehlt die Mutter; drum such – ich befehl es dir, Römer – die Mutter“. 

M: Die Römer beherzigten den Rat – und konnten Hannibal nach langem Kampf tatsächlich besiegen. Die Orakelerkunder glaubten, mit DER Mutter sei die „magna mater“ Kybele gemeint.

F: Ihr zu Ehren fanden in Rom fortan regelmäßig die sogenannten „ludi megalenses“ statt – mit rituellen Opferungen, Wagenrennen und Theateraufführungen. 

M: Die Göttin selbst wird meist mit einer Krone in Form einer Stadtmauer dargestellt. Begleitet wird Kybele oftmals von einem gewissen Attis. Glaubt man den antiken Mythen, dann sind Kybele und Attis so entstanden: 

F: Göttervater Zeus übernachtete einst auf dem Berg Agdos in Phrygien. Dabei ließ er seinen Samen zu Boden fallen – und daraus entstand der zwitterhafte Agdistis. Dieses furchterregende Wesen machte den anderen Göttern aber Angst und so kastrierten sie ihn. Der von seiner Männlichkeit befreite Agdistis wurde zur Großen Mutter Kybele, aus den abgetrennten Genitalien aber entstand Attis. 

M: Später schlug Kybele ihren geliebten Attis dann aber mit Wahnsinn. Die Eifersucht hatte sie dazu getrieben. Attis rannte davon, entmannte sich selbst und verblutete. Kybele bat Zeus, den Geliebten wieder zum Leben zu erwecken. Doch Zeus weigerte sich. Was er jedoch gewährte: Der Leichnam sollte nie verwesen. 

F: So wurde Attis im Glauben der Römer zu einem Symbol der Fruchtbarkeit. Er symbolisierte zudem Liebe, Tod und Trauer— sowie die Hoffnung auf Wiedergeburt. Man findet seine Darstellung daher auf vielen Grabsteinen, insbesondere von Soldaten und Auxiliaren.

 

Foto: © Römerhalle Bad Kreuznach