Station: [5] Treppenaufgang - Taktilismus


Betrachten Sie die Bilder entlang des Treppenaufgangs: Auffällig ist, dass Kerg bei diesen Zeichnungen und Malereien keinen Pinsel mehr benutzt hat. Die Farbe ist bei den Arbeiten vor allem mit dem Spachtel aufgetragen. Dabei ist alles Figürliche aus dem Bild verschwunden. Kerg versucht nicht mehr die Wirklichkeit abzubilden oder zu abstrahieren. Allein durch die Art, wie er die Farbe aufträgt, verleiht Kerg diesen Bildern ihre Kraft. 

Meteor lautet der Titel der großen blauen Arbeit mit den hellen Strukturen in der Bildmitte, die über dem Treppenloch hängt. Der kräftige Duktus der Farbe scheint über der Leinwand zu schweben. Das Farbrelief greift plastisch in den Raum. Diese Struktur verleiht dem Bild seine kosmische Energie. 

Bei diesen Arbeiten aus den späten 50er Jahren lässt sich Théo Kerg allein durch das Material selbst leiten, durch die Strukturen, die sich plastisch auf der Bildfläche aufbauen. Dabei spielt die Beleuchtung eine entscheidende Rolle: Das Wechselspiel von Licht und Schatten setzt die Farbereliefs in Bewegung, die Bilder werden lebendig. Théo Kerg hat diesen von ihm entwickelten Stil Taktilismus genannt.

Das Ertasten der reliefartigen Oberfläche durch das Licht, durch das Auge oder die Hand, ist der Schlüssel zu diesem neuen Stil. Für den Betrachter eröffnet sich dadurch eine Vielzahl von neuen Bildwelten, die sich aus der Materie selbst schöpfen. Kerg beschreibt das so:

"Indem man mit meinen Bildern lebt, kann man vor ihnen meditieren. Man kann sie betasten. Dies scheint mir sehr wichtig: meditieren und betasten! Es sind Tastobjekte. Daher der Name, den ich meiner Malerei gegeben habe: Taktilismus. Durch den Tastsinn offenbaren sich Welten. Vergessen wir nicht, dass wir als Baby über den Tastsinn die Welt entdeckt haben. Dieser Sinn entwickelt sich mit dem Alter."

Foto: © Doro Burkadt