Station: [022] Ernst Barlach (1870 – 1938), Der Rächer, 1914
Die Gestalt des wild voranstürmenden Schwertkämpfers veranschaulicht par excellence die Euphorie vieler deutscher Künstler und Intellektueller zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Ursprünglich trug das 1914 entstandene Werk den Titel „Berserker“. Es versinnbildlicht das Hochgefühl dieser Zeit: Gemeinsam steht eine Nation für die gewaltsame Durchsetzung ihrer Rechte ein. Mit enormer Wucht und scheinbar beseelt von einer gleichsam überirdischen Mission stürmt der Berserker oder Rächer nach vorn. Sein gesamter Körper, selbst das Gewand, ist im Flug expressiv gestreckt und wird zum Sinnbild eines Schlags, der alle Hindernisse überwindet. Vom selben Motiv fertigte Barlach auch eine Lithographie in frontaler Vorderansicht an. Sie wurde im Dezember 1914 in der Publikation „Kriegszeit“ mit der Bezeichnung „Heiliger Krieg“ veröffentlicht. Barlach selbst, der zum damaligen Zeitpunkt bereits Mitte Vierzig war, zog nicht ins Feld. Seine anfängliche Begeisterung für den Krieg schlug 1916 um und wandelte sich in eine vehemente Kritik. 1922 wurden die ersten Güsse der Plastik in Bronze ausgeführt. Seiner Illusionen beraubt, sah der Künstler sie nun in einem anderen Kontext. Denn die Beziehungen der Völker waren auch nach dem Friedensvertrag von Versailles auf der Seite der Sieger wie der Verlierer weiterhin von Forderungen nach Rache und Vergeltung geprägt. Zum Symbol destruktiver Kräfte geworden, erhielt das Werk Mitte der 20er Jahre daher den Titel „Der Rächer“.