Station: [009] Lovis Corinth (1858 - 1925), Walchensee – Blick auf das Wettersteingebirge, 1921
Bei seinem ersten Aufenthalt 1918 im oberbayrischen Urfeld wurde der Maler Lovis Corinth seinen eigenen Worten zufolge „ von der Schönheit der Landschaft, vom Zauber des Walchensees, der Bergkulisse, des Lichts und der Luft gepackt“. Prompt ließ er dort ein Landhaus errichten und hielt sich im Jahr darauf insgesamt sechzehnmal mit seiner Familie am Walchensee auf. Während Max Liebermann sein Anwesen am Berliner Wannsee aus vielen verschiedenen Perspektiven ins Visier nahm, malte Corinth das Walchensee-Panorama immer vom gleichen Standort aus. Dabei wechselten jedoch die Tages- und Jahreszeit wie auch das Wetter und die Lichtverhältnisse. Das Gemälde „Blick auf das Wettersteingebirge“ entstand im September 1921. Rote Blumen leuchten im Vordergrund in den Pflanzkästen des Balkons. Das prominent angelegte Motiv der Baumgruppe im Garten verstellt große Teile der Landschaft. Daran schließt sich der abfallende Wiesenhang an. Auf ihm steht ein Lärchenbaum, den Corinth liebte. Es folgt die Fläche des Sees und schließlich im Hintergrund die Berge. Indem die Bäume vorn die volle Bildhöhe durchmessen, wird die tiefenräumliche Wirkung zurückgenommen. Die Darstellung erhält einen flächigen Charakter. Heftig-bewegte Pinselzüge erwecken den Eindruck, ein Sturm würde über die Landschaft ziehen. Corinths Gemälde gehen über die Gestaltungsmittel des Impressionismus bereits hinaus. Sie zeichnen sich durch den gesteigerten Schwung einer ungefügen, fast wirbelnden Pinselschrift aus. Der ungestüme, skizzenhafte Farbauftrag kündet von der konfliktreich empfundenen Spannung zwischen Subjekt und Welt. Mit der Ästhetik einer gefühlsgeladenen, impulsiven Geste zeigt Corinths Alterswerk eine große Nähe zur nachfolgenden Generation der Expressionisten.