Station: [18] Dorfschule um 1900


Ruhe! Ruhe bitte. Ich muss doch sehr bitten!

Oder möchte jemand den Rohrstock zu spüren bekommen? Wir werden heute durchnehmen: das kleine Einmaleins. Nehmt die Schiefertafeln und die Griffel zur Hand. Und los geht es: ein mal sieben ist sieben. Zwei mal sieben ist vierzehn. Drei mal sieben ist einundzwanzig, vier mal sieben ist achtundzwanzig…

Werte Besucher, vielleicht sollten Sie sich möglichst unauffällig verhalten, bevor der Herr Dorfschullehrer sich echauffiert. Er ist sehr streng, um nicht zu sagen: Mit ihm ist nicht zu spaßen.

Wer hat da geklappert... äähh geplappert? Kliemt? Warst du es?

Nein, Herr Lehrer, ich versichere Ihnen…

Kliemt, ich verwarne dich ein letztes Mal! Beim nächsten Geklapper… äähh… Geplapper gibt’s eins auf den nackten Hosenboden.

Neun mal sieben ist dreiundsechzig…

Wissen Sie, ich stehe schon seit Langem hier, gehöre sozusagen zum Inventar. Hier, auf der linken Seite, auf dem Schreibpult, der Storch. Oder besser gesagt: die Störchin. Aber Männlein oder Weiblein, das können die Menschen bei uns ja ohnehin nicht auseinanderhalten. Jedenfalls, hier in der Dorfschule herrschen raue Sitten. Wer nicht zuhört oder wer gar Widerworte gibt, wird über den Prügelbock gelegt. Und wer mit schmutzigen Fingernägeln zur Schule kommt, bekommt den Rohrstock über die Finger gezogen.

Dabei sind das doch alles arme Bauernkinder, die zu Hause, auf dem Hof mit anpacken müssen und manchmal vor lauter Müdigkeit in der Bank einschlafen. Natürlich haben die keine sauberen Fingernägel.

Sechs mal neun ist vierundfünfzig, sieben mal neun ist dreiundsechzig, acht mal neun ist zweiundsiebzig…

Und – unter uns gesagt – die pädagogischen Fähigkeiten unseres Herrn Dorfschullehrers sind doch relativ begrenzt. Manches Mal würde ich – mit Verlaub – auch am liebsten ein Nickerchen halten.

Kliemt!

Jawohl, Herr Lehrer!

Wie viel ist drei mal neun?

Drei mal neun… drei mal neun…

Na, wird’s bald!

Drei mal neun…

Kliemt! Nachsitzen! Und setzen.

Ja, der Richard ist ein Träumer. Und mit Zahlen hat er’s nicht. Jetzt muss der arme Junge auch noch nachsitzen. Direkt hinter Ihnen, da hat der Dorfschullehrer seine Stube. Und wer vormittags nicht spurt, der muss nachmittags dort hocken und seitenweis das Einmaleins aufschreiben. Und wenn er dann mit Verspätung nach Hause kommt, bekommt er auch mit den Eltern Ärger.

Ach, ich sag‘s Ihnen: Kindsein macht auch nicht immer Spaß.

Wer hat da geklappert… äähh… geplappert? Müller?

Nein, ich war’s nicht, Herr Lehrer! Ehrenwort.

Nun gut. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: sieben mal zwei sind vierzehn, acht mal zwei sind sechzehn, neun mal zwei sind achtzehn…

Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH