Station: [3] Die Geschichte von Jud Süß
Wilhelm Hauffs wohl meist diskutiertes Werk ist die Novelle „Jud Süß“. Bis heute wird der Stoff von Autoren, Komponisten und Regisseuren immer wieder adaptiert. Die prominentesten Beispiele sind sicherlich der Propagandafilm von Veit Harlan aus dem Jahr 1940 und der gleichnamige Roman von Lion Feuchtwanger.
Die Frage, die sich heute stellt: War Wilhelm Hauff ein Antisemit? Unserem heutigen Verständnis nach: Vermutlich ja. Aber im Kontext seiner Zeit? Im 19. Jahrhundert war der Antijudaismus, die Ablehnung der jüdischen Religion, gang und gäbe. Es gehörte
regelrecht zum „guten Ton“. Der Begriff Antisemitismus entstand erst lange nach Hauffs Tod, um das Jahr 1880. Das Datum markiert eine Wende: Es ging nun nicht mehr um religiöse Motive. Der neue Antisemitismus argumentierte rassistisch und auf der Basis vermeintlicher Wissenschaftlichkeit.
Was man Wilhelm Hauff aber vorwerfen kann: Er hat mit seiner Novelle zur Etablierung antijüdischer Stereotype beigetragen. Was vor allem durch seine enorme Popularität im 19. Jahrhundert möglich wurde. Aber auch durch den Geschmack der Leserschaft. Die begeistert sich für historische Romane, in denen die Handlung jedoch allzu oft die historische Wirklichkeit verdeckt. So wie auch in der Novelle „Jüd Süß“.
Diesen „Jud Süß“ hat es tatsächlich gegeben. Hinter dem Spottnamen verbirgt sich Joseph Süß Oppenheimer. Seines Zeichens Berater des württembergischen – Achtung, katholischen! – Herzogs Karl Alexander. Um die desolaten Finanzen des Landes zu sanieren, führt Oppenheimer verschiedene wirtschaftliche Neuerungen ein. Zeitweilig
reicht sein Einfluss weit über den Finanzsektor hinaus, bis
hinein in die innere Verwaltung und das Justizwesen. Seine zahlreichen Feinde verbreiten daher das Gerücht, er strebe eine Art Premierminister-Würde an.
90 Jahre nach den historischen Ereignissen macht Hauff jenen Oppenheimer zum Protagonisten seiner Novelle. Aus dem Geheimen Finanzrat wird ein reicher und mächtiger Jude mit „bekanntem Lebenswandel“. Er scheint unantastbar, er besitzt ein herzogliches Edikt, das ihn „auf ewig von aller Verantwortung wegen Vergangenheit und Zukunft freisprach“, wie Hauff schreibt.
Doch der Herzog stirbt, unerwartet – und so ist das Edikt nichts mehr wert. Oppenheimer wird verhaftet und zum Tode verurteilt. In der Realität passiert das im Jahr 1738. Oppenheimer wird auf dem Stuttgarter Galgenberg gehängt, sein Leichnam sechs Jahre in einem Käfig zu Schau gestellt. Die Gerichtsakten bleiben bis 1919 unter Verschluss. Daher basiert Wilhelm Hauffs Erzählung wohl vor allem auf Gerüchten und auf eben jenen antisemitischen Stereotypen der damaligen Zeit.
Diese werden in der Figurenkonstellation der Novelle schnell deutlich: Auf der einen Seite der mächtige, jüdische Finanzrat. Auf der anderen Seite die patriotischen Bürger, die den Landständen Württembergs angehören und einen Putsch gegen den Herzog planen. Der Herzog selbst kommt als Figur in der Novelle nicht vor. Wodurch der „Jud
Süß“ als heimlicher Strippenzieher dargestellt wird, als der eigentlicher Machthaber im Staat.
Die Verschwörer indes erscheinen als Patrioten, die dem Herzog nur zu seinem legitimen Recht verhelfen wollen. Der geplante Staatsstreich ist also nicht verwerflich, sondern das einzig probate Mittel, um das Land von der falschen jüdischen Herrschaft zu befreien. Umgekehrt bildet Oppenheimer das verachtenswerte Gegenbild zu dieser Vaterlandsliebe.
Am Ende hat sich das mit der Revolte erledigt, denn der Herzog stirbt – ein göttliches Eingreifen, so die Deutung des Erzählers. Die soziale Ordnung ist, nach diesem Verständnis, also wiederhergestellt.
Alle Abbildungen: © Wilhelm-Hauff-Museum