Station: [4] Ernst Neumann (1873-1945)
Ernst Neumann
geboren 1873 – verstorben 1945
Es war bitter kalt und in der Dunkelheit der Nacht umgaukelten die abenteuerlichsten
Bilder meine aufgeregte Phantasie.
In seinem Tagebuch „Von Valparaiso nach Buenos Aires“ schildert der Autor seine Erlebnisse während der Überquerung der Anden im August 1902, mit Pferd, Maulesel und zu Fuß. In den Anden ist Winter.
Als selbständiger Kaufmann hatte er sich auf eine Geschäftsreise nach Valparaiso begeben und war mit dem Dampfer um die Südspitze Südamerikas gefahren. Durch seine Geschäfte länger aufgehalten als erwartet, verzögerte sich die geplante Rückreise.
Um nicht drei Wochen auf den nächsten Dampfer warten zu müssen, reist er auf dem Landweg von Valparaiso nach Buenos Aires. Das erfordert die Überquerung der Anden auf einer Strecke von ca. 150 Kilometern und einer Höhe von über 4000 Metern und eine anschließende Fahrt mit dem Zug.
Alle Warnungen ignorierend wagt er den Wettlauf mit der Zeit gegen bewaffnete Räuberbanden, Kälte, Schnee sowie geistige und körperliche Erschöpfung und erreicht sein Ziel.
September 1902
Dass es sich hier nach europäischen Begriffen schwerlich um eine Spazier- und Vergnügungsfahrt handelte, ist wohl außer Frage. Die Situation wurde überhaupt noch bedenklicher, als anstelle der friedlichen Landbewohner immer weniger vertrauenerweckende Individuen auftauchten und uns missmutige, drohende Blicke nachwarfen.
Auf den Anhöhen entdeckten wir bald größere Massen aus Halbindianern […] und chilenischem unlauteren Gesindel bestehenden Banden, die zuerst mit Befremden unseren Wagen in Windeseile daher rollen sahen, dann aber sich anschickten, über einen Plan nachzusinnen, um uns den Weg zu versperren oder ein Hindernis vorzubereiten, damit wir ihnen leichter zum Opfer fallen konnten.
Wir sahen, wie sich solch ein Haufen auflöste, einzelne Gestalten gemsenartig von Block zu Block sprangen, um uns möglichst zu überholen. Ihr Gestikulieren, das Leuchten ihrer Waffen und die uns bei weitem überlegenen Scharen erhöhten unser Unsicherheitsgefühl umso mehr, als niemand von unserer Seite Waffen irgendwelcher Art trug.
Alle Abbildungen: © Gerhard Seitz, Das Deutsche Tagebucharchiv e.V.