Station: [8] Henry van de Velde und der Bürgeler Jugendstil


„Die in Bürgel existierenden Fabriken von Luxus-Tonwaren […] haben […] wenig Aussicht allein hochzukommen. Es ist über alle Maßen traurig, zu welch elenden Formen diese Fabrikanten eine noch elendere Email – also Glasur – verwenden. Ein schweres Gewicht fühle ich auf mir lasten, dass ich es übernommen habe, diesen Mangel an künstlerischer Erziehung mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln zu ersetzen.“

Der so spricht ist kein Geringerer als der belgische Künstler und Gestalter Henry van de Velde. In einem Bericht an den Großherzog vom Dezember 1902 zeigt er sich entsetzt über die Rückständigkeit der Bürgeler Töpfereien. Deren Produkte mit

„widerlich gewöhnlichen Tonfärbungen in grau, braun, schmutzig-grün

… an denen offenbar noch nie ein Chemiker gearbeitet habe, müssten – so van de Velde – „vertrieben“ werden.

Gut sieben Jahre später, im April 1908, kann er Vollzug melden. Mit einem guten Maß an Eigenmarketing vermeldet er den Erfolg seiner Mission. In Zusammenarbeit mit den Tonwarenfabriken habe eine Keramik entwickelt werden können, die international marktfähig sei und dem guten Ruf des Großherzogtums zur Ehre gereiche.

Was war geschehen? Henry van de Velde hatte Kooperationen mit mehreren Bürgeler Töpfereibetrieben aufgenommen und ihnen Entwürfe zur Verfügung gestellt. So fertigten die Töpfereien Gebauer, Eberstein, Neumann und Schack seine Formen und entwickelten in Anlehnung hieran eigene Produktlinien.

Gleichzeitig richtete van de Velde an der Kunstgewerbeschule Weimar eine keramische Abteilung ein und belebte die gründerzeitliche Modellierschule wieder. Die angehenden Kunsthandwerker erhielten Unterricht im Ornamentzeichnen und machten sich mit den neuen Formen vertraut. 

Unter van de Veldes Einfluss erweiterte sich auch die Farbpalette der Bürgeler Keramiken erheblich: um gelbe, rote, türkisfarbene, schwarze, blaue, weiße und orangefarbene Glasuren.

Die neue Ästhetik van de Veldes befreite die Bürgeler Keramikproduktion aus dem überlebten Stilgemenge des Historismus. Parallel dazu gab der Künstler auch Impulse zur stilistischen Erneuerung der Gebrauchskeramik und griff das Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Blauweiß-Dekor auf.