Station: [7] Der Weg zum Jugendstil
„Milch und Brot macht Wangen rot.“
Dieser biedere Sinnspruch ziert den oberen Rand der blau glasierten Schnauzenkanne, die um das Jahr 1889 in der Bürgeler Werkstatt Schack entsteht. Doch wenn man genauer hinschaut, ist dieser Milchkrug alles andere als bieder!
Die wild bewegten Blumenmotive scheinen eine ganze Blumenwiese auf den Frühstückstisch zu holen. Es sind Löwenzahn-Blätter und naturnahe Ornamente, die sich deutlich von den überladenen historistischen Dekoren absetzen.
Die Milchkanne stammt von Hermann Obrist, der später zu den Begründern des deutschen Jugendstils gehören sollte. Zwischen 1889 und 1898 hält er sich sechs Mal in Bürgel auf, wie die Eintragungen im Gästebuch des Keramik-Museums bezeugen. 27jährig kommt er auf Geheiß des Großherzogs und knüpft Kontakte zu örtlichen Töpfern, die seine Entwürfe umsetzen. Obrists spätere künstlerische Auseinandersetzung mit der Natur und ihren Formen ist bereits in diesen frühen Werken angelegt.
Hermann Obrist wird das Kunstgewerbe radikal reformieren und zu neuer Blüte führen. Für die Bürgeler Töpfer bedeutet dieser neue Stil den Auftakt zu einer neuen Ära. Nach der jahrhundertelangen Fertigung bäuerlich-rustikaler Töpferware und der Spezialisierung auf wilhelminisch-pompöse Zierkeramiken hält nun der Jugendstil Einzug.
So unterstützt die Weimarer Landesregierung das Schaffen der örtlichen Töpfer nicht nur durch die Gründung von Manufakturen und Institutionen, wie der Modellier- und Zeichenschule bzw. dem Museum oder die Organisation von Gewerbeschauen. Sie schickt auch renommierte Künstler nach Bürgel, die mit ihren Entwürfen die Formgebung der Keramik revolutionieren und den Bürgeler Töpfern den state of the art vermitteln.