Station: [9] Die Modellier- und Zeichenschule
Josef:
Ach, sieh mal, hier geht es um unsere Schule! Also, nicht die Wiedenbrücker Schule an sich, sondern die Modellier- und Zeichenschule in der Halle… also… in der Straße „In der Halle“. Diese längliche Tafel da oben, die hängt in jedem Bildhaueratelier und auch bei uns in der Schulklasse. Daran können wir lernen, wie die Menschen in den verschiedenen Lebensphasen aussehen. Ganz kleine Kinder haben einen dicken Bauch, das ist immer so. Und wenn sie älter werden, werden sie nicht nur größer, sondern verändern sich auch insgesamt. Die Arme werden länger, die Schulter werden breiter und so weiter. Und das ist wichtig, damit die geschnitzten Figuren nachher auch richtig echt aussehen!
Und... schau mal auf dein neumodisches Gerät. Solche Vorlagenbilder haben wir auch. Die heißen Fotos, sind ne ganz neue Erfindung. Mit denen kann man Dinge abbilden, ohne sie zeichnen zu müssen. Tolle Sache! Jedenfalls, nach diesen Fotos können wir Körperhaltungen abzeichnen lernen. Der erste könnte ein Jünger sein, der hoch zum Kreuz schaut…
… und der hier, der stellt den am Kreuz hängenden Jesus dar. Und schau mal ganz genau hin: Ja, guck mal, der hat gar keine Unterhose an! Die hat ihm einer nachträglich draufgemalt. Bestimmt damit die junge Generation nicht verdorben wird.
Das heißt, nackte Menschen zeichnen, das lernen wir in der Schule. Aber zu nackig dürfen sie dann doch nicht sein!
Und mit den Unterrichtszeiten ist es auch so. Wir müssen nämlich am Sonntag in die Modellier- und Zeichenschule. Ist ja eigentlich klar: Von Montag bis Samstag lernen wir in unseren Werkstätten, da bleibt nur der Sonntag, um zur Schule zu gehen. Und dass wir dadurch die Kirche verpassen, das ist dann plötzlich wieder nicht so schlimm.
Was sagst du? Du gehst nur von Montag bis Freitag in die Schule?! Was ist denn das? Und samstags und sonntags?... „frei“?! Das ist ja ne Wucht! Da hast du’s ja gut!
Obwohl ich… ich muss manchmal auch nicht zur Schule. Wenn wir nämlich Werkstücke ausliefern, also einen Altar oder einen Beichtstuhl oder so etwas. Da darf ich manchmal mitfahren. Und dann schreibt mir der Chef ein Entschuldigungsschreiben für die Schule. So ein Ähnliches hängt auch hier an der Wand.
Aber… kaum sind wir dann zurück in Wiedenbrück, muss ich auch schon wieder in die Schule. Zeichnen lernen, modellieren lernen, Rechtschreibung und Buchhaltung… weil man ja später vielleicht einen eigenen Betrieb hat. Und das Lernen kann noch jahrelang so weitergehen, denn eine Ausbildung als Kunsttischler dauert lange und ist echt kompliziert. Fünf oder sechs Jahre müssen wir lernen, bevor wir unsere Gesellenprüfung machen können. Aber dann – wenn wir die Zeichen- und Modellierschule und die Ausbildung hinter uns haben – dann gehören wir zu der richtigen und berühmten Wiedenbrücker Schule. Und all die Sachen, die ich später mal bauen und schnitzen werde, die werden in allen möglichen Kirchen überall auf der Welt sehen sein! Ganz sicher!
Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum