Station: [16] Schnitzbalken + Fotos von Schnitzereien
Josef:
…voluptas nullus amor nullum…
Puh, das ist hier alles Latein, das können zwar die Priester und der Herr Bischof und die anderen Leute in der Kirche… aber ich nicht. Und die Menschen, die in den Häusern leben, meistens auch nicht. Wenn die sich ein schönes Haus bauen wollen, dann rufen sie den Herrn Pastor, damit der ihnen einen frommen Spruch aus der Bibel aufschreibt. Und das schnitzen die Zimmerleute dann in die Fachwerkbalken… damit jeder sehen kann, dass in diesem Haus – also in dem Haus, an dem solche Balken zu sehen sind – dass da fromme Menschen wohnen.
Affe:
Und an manchen anderen Häusern, da wohnen Affen!
Josef:
Was? Affen? Und wer spricht da überhaupt?
Affe:
Ich! Auf deinem Dingens… auf deinem Gerät. Mich gibt es nämlich auch! An einem Haus in Wiedenbrück. Geschnitzt und schön angemalt. Ich futtere gerade eine Blüte oder eine Banane oder irgendsowas… weiß auch nicht richtig. Und hinter mir… Da ist ein wilder Löwe. Aber keine Sorge, der Kollege ist schon seit Ewigkeiten damit beschäftigt, ein Schild festzuhalten. Seit 1591, denn so lange gibt es uns schon.
Josef:
Seit 1591! Dann bist du ja unheimlich alt!
Affe:
Unheimlich alt und unheimlich schlau! Ich habe mir eine Mütze aufgesetzt, wie die Herren Magister in der Universität, und dann studiere ich.
Josef:
Und was studierst du?
Affe:
Die Frage ist, wen ich studiere.
Josef:
…und wen studierst du?
Affe:
Dich! Und deinen kleinen Freund da. Und die Leute, die vorübergehen. Die schaue ich mir an und dann sage ich mir: Tss, tss, tss. Das sollen nun also die vernünftigen Menschen sein? Die Krone der Schöpfung? Dass ich nicht lache!
Die Menschen, die hängen mich zwar an ihr Haus, um zu zeigen, wie unvernünftig ich bin und wie vernünftig sie sind… aber in Wirklichkeit… Nicht mal Latein können sie!
Josef:
Ja, aber das ist doch… Du kannst Latein?
Affe:
Klaro! In- und auswendig. Mein zweiter Vorname ist sozusagen Latein. Also, schau mal über meinen Kopf. Da sind auch so ein paar Buchstaben in einen Balken geritzt sogar in Gold!
Josef:
Ja, das müssen besonders reiche Menschen sein, die das in Auftrag gegeben haben.
Affe:
Papperlapapp! Besonders reich, vielleicht. Aber auch besonders einfältig. Lies mal, was da steht. Der Spruch soll heißen: Friede den Eintretenden, Gesundheit den Innewohnenden, Glück den Hinausgehenden. Sehr schön, sehr schön.
Aber was haben diese Pappnasen geschrieben?: Pax intrantibus – Friede den Eintretenden, alles klar. Auf der anderen Seite, das siehst du jetzt nicht, da steht: Salus inhabitantibus – Gesundheit den Einwohnern, geht auch. Und dann, wieder auf dieser Seite: felicitas ex-transibus.
Sie haben nur bei der Trennung nicht aufgepasst: felicitaS EX transibus. Und jetzt sieht jeder von draußen, was hier der Hausherr mit der Hausherrin nächstens treibt.
Josef:
Aber Affe, wie kann man denn nur so albern sein!
Affe:
Ich und albern? Ich bin Magister der Sieben freien Künste! Ich kann besser Latein als alle Wiedenbrücker Priester und Zimmerleute zusammen. Und ich weiß, wo ein Wort aufhört und wo das nächste anfängt.
Josef:
Ach, aber du bist doch gehässig. Das war ein Versehen, das kann doch jedem mal passieren.
Affe:
Ein Versehen! Dass ich nicht lache. Wer macht sich hier zum Affen, frage ich mich?! Die Menschen wollten meine Gefräßigkeit und Unvernunft zeigen und haben ihre eigene Unwissenheit offenbart. Ha! Das nächste Mal sollten sie besser aufpassen, bevor sie Ihresgleichen verhöhnen. Ich bin schließlich ein Primat wie sie und wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, das hätten sie mal auf ihr Haus…
Josef:
Ui, dieser Affe, der war ja geladen! Eigentlich lustig, aber auch ganz schön anstrengend. Und dass so einem Holzbalkenschnitzer mal ein Fehler passiert, das kann doch passieren. Heißt ja sogar so: Schnitzer.