Station: [135] Franz Anton Goldkuhle: Germania
Germania:
Was soll das? Wo bin ich hier gelandet? Früher stand ich nicht zwischen diesen Gebüschen, sondern mitten in Rheda, auf dem Lindenplatz!
Josef:
Sie kenn‘ ich doch, Sie sind die Germania!
Germania:
Ganz genau! Die glorreiche Gestaltwerdung unseres geliebten Vaterlands.
Josef:
Und Meister Anton Goldkuhle, der berühmte Bildhauer und Kunsttischler hat Sie erschaffen. Und auf dem Lindenplatz aufgestellt, der heute Doktorplatz heißt.
Germania:
Doktorplatz? Unsinn. Lindenplatz, so heißt der.
Josef:
So hieß er früher.
Germania:
Ach, egal. Lindenplatz, Doktorplatz… Die Frage ist doch: Warum stehe ich nicht mehr da?
Josef:
Nun… ich glaube… das hat etwas mit der Politik zu tun.
Germania:
Mit der Politik unseres geliebten Vaterlands? Des Deutschen Reichs? Was ist denn an dieser Politik auszusetzen?
Josef:
Nun ja, liebe Frau Germania… Ich bin mir da auch nicht so sicher… aber ich habe gehört, dass es Kriege gab mit mehreren Millionen Toten…
Germania:
Auf deutscher Seite?
Josef:
Auf allen Seiten. Aber Deutschland soll da… nun ja… keine gute Rolle gespielt haben.
Germania:
Mein geliebtes Deutschland? Ausgeschlossen! Das waren die Franzosen!
Josef:
Nein, ich befürchte nicht. Die Deutschen haben angefangen und nachher hat man gesagt, der Nationalismus sei schuld daran gewesen, dass die Menschen sich nicht mehr vertragen haben und angefangen haben, Krieg zu führen.
Germania:
Der Nationalismus?
Josef:
Ja, und Sie sind leider ein Zeichen des Nationalismus.
Germania:
Unerhört! Ich bin Germania, das Symbol unseres geliebten Deutschen Reichs!
Josef:
Ja, genau! Und deswegen hat man Sie vom Doktorplatz, also vom Lindenplatz, weggenommen und hier aufgestellt. Und viele andere Standbilder, die hat man sogar ganz weggeschmissen, weil man nicht mehr an diese Zeiten erinnert werden wollte.
Germania:
Aber hier wird doch noch erinnert. Da drüben, an der flachen Mauer etwas weiter rechts im Fichtenbusch, da hängen doch manchmal Blumenkränze.
Josef:
Ja, genau. Heute erinnert man an die Toten dieser Kriege und an alle Opfer von Terror und Gewaltherrschaft.
Germania:
Zu meinen Füßen! So ist es recht. Na gut, dann machen wir jetzt eben Erinnerung ohne Nationalismus. Hauptsache, dass ich weiterhin bewundert und verehrt werde, ich Germania, die Gestaltwerdung unseres geliebten Vaterlandes!
Josef:
Oh je, ich glaube, sie versteht es nicht mehr. Lass uns weitergehen!
Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum