Station: [106] Dr. Wilfried Koch: Knoten im Garn
M:
Gnade! Gnade! Mein Herr, meine Dame, junger Mensch, kauft mir doch bitte dieses Garn ab. Ich weiß, es ist nicht sehr fein und etwas verknotet ist es auch… also eigentlich gar nicht mehr zu gebrauchen… aber ich brauche Geld… und etwas zu essen… Mein Sohn hat Hunger, er wächst kaum noch, sein Bauch ist schon ganz zerfressen vor lauter Hunger. Er hat nie eine Schule besucht, weil er arbeiten musste. Und bald wird der Hunger ihn aufgefressen haben. Und auch meine Frau… sie spinnt nur noch stumpf vor sich hin… Wir brauchen alle etwas zu essen…
Erna, sag doch auch mal etwas!
F:
Hat doch eh keinen Zweck!
M:
Ja, unser Leben ist Mühsal und Not, so ist es immer gewesen. Aber seit in Bielefeld die große Flachsspinnerei gegründet wurde und die Maschinen unsere Arbeit übernommen haben… da haben wir nichts mehr zu beißen… und werden irgendwann elendiglich zugrunde gehen.
Erbarmen, liebe Leute. Ihr seid doch gute Menschen und Ihr wollt doch nicht, dass der Hunger uns in den Tod treibt. Kommt, setzt Euch ein wenig an unsere Seite und seht uns beim Arbeiten zu und bedenkt dabei, wie eng Armut und Reichtum, Elend und Wohlstand, Hunger und Sättigung beieinander liegen. Und ich bitte Euch, kauft uns armen Spinnern ein wenig Garn ab, damit wir wenigstens heute Abend eine warme Mahlzeit haben können. Das Leben ist ein Jammertal, durch das alle Menschen gehen müssen, doch wo die Menschlichkeit fehlt, da fehlt es am Ende auch…
Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum