Station: [121-1] Die Legende des Heiligen Aegidius


„Und Gott sandte ihm eine Hirschkuh, die kam alle Tage zu allen Zeiten und nährte ihn mit ihrer Milch. Es geschah, dass des Königs Gesinde in den Wald fuhr jagen; als sie die Hirschkuh ersahen, ließen sie alles andere Wild und jagten ihr nach mit ihren Hunden. Da sie also hart bedrängt war, floh sie zu den Füßen ihres Pfleglings, der verwunderte sich ihres Schreiens […] und trat hinaus aus der Höhle und hörte die Jagd im Wald. Da betete er zu Gott, dass er ihm die Ernährerin wolle bewahren […]. Also geschah es, dass der Hunde keiner auf eines Steinwurfs Weite der Höhle mochte nahen. […] Als das der König hörte, gedachte er, dass die Sache von Gott möchte sein […] er nahm den Bischof mit sich, und kam selbst an die Statt mit der Menge der Jäger. Die Hunde traueten sich nicht heran wie zuvor, sondern kehrten wieder um mit Geheul. Da schlossen sie um die Stätte einen Kreis, denn sie war mit Dornen also verwachsen, dass man nicht darein mochte kommen. Der Jäger einer aber schoss aus Unbedacht einen Pfeil ins Dickicht, dass er die Hirschkuh daraus triebe; der Pfeil aber schlug Ägidio eine tiefe Wunde, dieweil er für die H inde betete. Nun bahnten sich die Ritter mit ihren Schwertern einen Weg durch die Dornen und kamen zu der Höhle: da sahen sie einen ehrwürdigen Greis sitzen im Mönchsgewand, und die Hirschkuh geneiget zu seinen Füßen. […] da baten sie ihn demütiglich um Gnade und gelobten ihm Ärzte zu senden für seine Wunde. […] Ägidius […] bat den König, dass er ein Kloster von dem Gut baue, da mönchischen Lebens Ordnung herrsche. Das tat der König und lag darnach dem Heiligen so lange mit Bitten und Tränen an, bis er selbst die Sorge für das Kloster auf sich nahm, der sich lange hatte geweigert.“

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Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine, aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007, S. 513.

Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum