Station: [104] Christoph Siebe: Kaiser-Wilhelm-Denkmal
Seit 1893 wacht Kaiser Wilhelm der Erste mit langem Mantel und gütiger Geste über das Volk von Wiedenbrück. Das Sandstein-Denkmal, fünf Jahre nach dem Tod des Monarchen errichtet, stand ursprünglich an der Südseite des Marktes.
Der Sockel führt die 14 Wiedenbrücker Soldaten auf, die in den Einigungskriegen 1864, 1866 und 1870/71 zu Tode kamen. Damit ist das Programm des Denkmals umrissen: Die von Wilhelm dem Ersten geführten Kriege waren das notwendige Opfer für die Gründung des Deutschen Reichs 1871. Die Gefallenen sind für die gute Sache gestorben.
Geschaffen wurde das Ehrenmal von dem Bildhauer und Maler Christoph Siebe, einem der frühen Vertreter der Wiedenbrücker Schule. In den 1860er Jahren ging Siebe bei Franz Anton Goldkuhle in die Lehre, studierte danach an der Kunstakademie in Kassel, kehrte nach Wiedenbrück zurück und prägte dreieinhalb Jahrzehnte, bis zu seinem Tod 1912, die Wiedenbrücker Schule. Er fertigte Bildwerke für kirchliche und weltliche Auftraggeber.
Das Ehrenmal für Wilhelm den Ersten entstand nur zwei Jahre vor dem für Westfalen bedeutsamsten Kaiserstandbild: das Denkmal in der Porta Westfalica. Schauen Sie auf Ihren Bildschirm und vergleichen Sie die beiden Darstellungsweisen des Monarchen. Bis auf die erhobene Hand und den Säbel in der Linken ähneln sie sich auffallend!
Die Entwürfe zu dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal in der Porta Westfalica lieferte Caspar Ritter vom Zumbusch, ein Westfale, der in Wien zu Ruhm und Ehren gekommen war. Den Kunsthandwerkern der Wiedenbrücker Schule war Zumbusch freundschaftlich verbunden.
Kaiser Wilhelms Darstellung als mächtiger und gütiger Landesvater, der über ein geeintes und befriedetes Reich herrscht, missfiel den Nazis. 1939 beschlossen sie die Verbringung des Denkmals vom Markt an diese Stelle. Bei der Aufstellung hier am historischen Mühlenpförtchen drehten Sie auch den Sockel um 180 Grad, so dass die Inschrift „Wilhelm der Erste“ seitdem nach hinten zeigt.
Der neue Standort war bewusst gewählt: Er lag hinter der Umflut und somit außerhalb des historischen Stadtkerns. Das Mühlenpförtchen, das diesem Ort seinen Namen gab, führte in früheren Zeiten zum Pestfriedhof vor der Stadt. Die heutige Rektoratsstraße war dementsprechend keine einladende Adresse und ohne großen Publikumsverkehr. Genau richtig, um ein ungeliebtes Denkmal ins Vergessen zu senken.
Die Stadtplanung der 1960er Jahre verkehrte ihr Sinnen aber ins Gegenteil und machte die Rektoratsstraße zu einer eine viel befahrenen Zugangsstraße in die historische Altstadt Wiedenbrücks. Die Renaturierung der Umflut und die Rekonstruktion der drei Mühlräder haben das historische Mühlenpförtchen in ein malerisches Plätzchen in Wiedenbrück verwandelt.
Abbildung 1: Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum
Abbildung 2: © Wiedenbrücker Schule Museum