Station: [2] Globalisierung im 19. Jahrhundert


Objekt: Achat Turmringe 19. und 20. Jahrhundert

Idar-Oberstein, späte 1870er Jahre

Was haben wir für ein Glück! Mein Mann hat eine gut bezahlte Arbeit in einer Schleifmühle gefunden und mein Sohn verdient sich in Brasilien als Achathändler seinen Lebensunterhalt. Uns geht's richtig gut! Und alles nur, weil wir hier in Idar-Oberstein vom Handel mit Achatschmuck leben. Wenn ich da in der Zeitung lese, wie schlecht die Berliner Fabrikarbeiter dran sind! Wir produzieren nämlich nicht für unseren krisengebeutelten deutschen Markt, sondern für Afrika. Können Sie sich das vorstellen? Die Spitzweck, Saudetz und Schnuller, die wir hier im Hundsrück schleifen, werden in Afrika verkauft. Na ja, Saudetz und Schnuller, so nennen wir hier diese komischen Teile, mein Sohn spricht von Talhakimt oder Turmringen. So, sagt er, nennen sie die Tuareg-Frauen, und die tragen sie an einem Lederriemen um den Hals. Ich finde das unglaublich. So ein Turmring hat mehr als 15.000 Kilometer Reise hinter sich, bis er am Hals einer Beduinin hängt. Das Rohmaterial kommt nämlich aus Brasilien. Deshalb lebt mein Sohn dort. Und wenn dann die Auftraggeber aus Paris oder Birmingham uns ihre Bestellung schicken, machen wir daraus genau die Objekte, die sie geschliffen haben wollen. Auch wenn wir hier die Formen ziemlich komisch finden. Wir schicken die fertige Ware nach Marseille oder nach Liverpool. Und von dort wird sie nach Dakar, Kairo oder Lagos verschifft. Das sind alles afrikanische Häfen. Einheimische Karawanen transportieren den Achatschmuck dann weiter. Mein Sohn sagt, dass unser Achatschmuck so beliebt ist, dass er in manchen Gegenden Afrikas wie Geld benutzt wird. Weil er so leicht ist und so wertvoll und weil er nie kaputt geht. Er wird von der Mutter auf die Tochter vererbt und stellt einen wichtigen Teil des Reichtums der Familie dar. Gerd

Spittler, Der Weg des Achat nach Timia - eine Reise um die halbe Welt.