Station: [4] Von Muschelgeld, Diebstahl und christlicher Moral


Objekt: Galia, Malaita / Solomonen, 2. Hälfte 20. Jahrhundert

Volk der Kwaio, Westliche Solomonen, späte 1960er Jahre

Nein. Nein. Das darf einfach nicht wahr sein. Sie haben ihn ins Gefängnis gebracht. Ich habe ihm doch gesagt, dass es die Weißen nicht akzeptieren, dass er ihnen einfach Dinge wegnimmt. Das ist anders als bei uns im Dorf. Aber er hat es einfach nicht geglaubt. Bei uns gehört es zum Erwachsenwerden, dass ein Junge stiehlt. Wir Erwachsenen müssen schon ganz schön aufpassen, damit uns kein Schwein und kein Muschelgeld wegkommt. Sie sind nämlich schlau, unsere jungen Männer. Erst spionieren sie aus, wo wir das Muschelgeld verstecken, und wenn wir mal das Haus verlassen, dann schleichen sie herein und stehlen. Das ist wie ein Spiel. Ein gutes Spiel. In dem Spiel lernen sie, strategisch zu denken. Und wenn wir sie mal fangen, dann ist es nicht so schlimm. Sie müssen halt eine Wiedergutmachung zahlen. Die ist hoch, und zwar umso höher, je berühmter der Dieb ist, den wir gefangen haben. Dann muss er halt noch mehr stehlen, damit er die Schweine und das Muschelgeld für die Wiedergutmachung zahlen kann. Und wenn er ungeschickt ist, muss ihn seine Familie auslösen. Aber das funktioniert bei den Weißen nicht. Die jungen Männer wollen auf Abenteuer ausgehen, und dann sehen sie, was ihre Freunde in der Stadt erbeuten. Kein Muschelgeld wie bei uns, sondern echtes Geld, Uhren, Kassettenrekorder, ja einer kam mit einer Kettensäge. Und dann wollen sie auch in die Stadt. Aber inzwischen passen die Weißen viel besser auf. Wir haben einen Ruf als Unruhestifter. Und da haben diese weißen Polizisten meinen Jungen einfach verhaftet, nur weil er ein bisschen Geld genommen hat. Und jetzt sitzt er im Gefängnis. Und ich kann ihn weder mit zehn Schweinen, noch mit hundert Strängen Muschelgeld freikaufen.

Roger M. Keesing, Custom and Confrontation: The Kwaio Struggle for Cultural Autonomy. Chicago (1992), S. 176-178