Station: [13] Als Deutschland mit Zigaretten zahlte


Objekt: Zigaretten aus deutscher Produktion. Um 1945.

München, Februar 1947

Ich hab Hunger. Mann, hab ich Hunger. Aber heut Abend gibt's was zu essen. Mama ist hamstern gegangen. Was das heißt? Na, sie ist aufs Land, um bei den Bauern was zum Essen einzutauschen. Sie hat nämlich Amis. Was eine Ami ist? Das weißt du nicht? Eine Ami ist eine amerikanische Zigarette. Und für Amis gibt es viel mehr als für die Zigaretten, die man bei uns macht. Die Zigaretten, die hat die Mama vom Schwarzmarkt in der Möhlstraße. Hat sie eingetauscht. Gegen so eine komische Porzellanfigur, die sie von zuhause mitgebracht hat. Wir sind nämlich eigentlich gar nicht von hier, sondern aus der Tschechei. Das ist ganz weit weg. Wie weit? Keine Ahnung! Soldaten haben uns in einen Viehwagon verladen, und dann waren wir tagelang in der Eisenbahn. Bis wir in München waren. Weil die Mama glaubt, dass der Papa hier in einem Gefangenenlager ist. Jeder hat mitnehmen dürfen, was er tragen kann. Und die Mama, die hat die Porzellanfigur eingepackt. Mann hat die geweint, weil sie die verkaufen muss. Und ich hab auch geweint, weil ich Hunger hab. Und da hat die Mama mich angeschaut, den Mund fest zusammengekniffen und ist zur Möhlstraße gegangen. Und wie sie zurückgekommen ist, hat sie gestrahlt. Und sie hat mir erzählt, dass sie dort einen Ami getroffen hat, dem die Porzellanfigur gefallen hat. Nein, keine Zigarette, einen amerikanischen Soldaten. Der war ganz beeindruckt, hat sie gesagt, weil er wusste, was Meissner Porzellan ist. Und dann haben sie angefangen zu handeln. 200 Zigaretten hat er erst geboten. Aber sie wollte mehr. Und dann haben sie sich auf 250 geeinigt. Und er war nett. Und dann hat er sie gefragt, wo sie denn herkommt. Und ich glaub, dann hat die Mama wieder geweint und ihm von mir erzählt und vom Papa, der auch im Krieg war, und den wir bestimmt bald wieder finden. Und dann hat er ihr statt der 250 Zigaretten die ganzen drei Stangen gegeben, die er dabei gehabt hat. Und das Porzellanding, das wollte er gar nicht mehr. Aber da hat ihm die Mama gesagt, dass er das nach hause mitnehmen muss. Und allen soll er erzählen, wo es herkommt und von wem er es hat. Damit auch bei ihm daheim die Leute wissen, dass Krieg immer die trifft, die am wenigsten dafür können.

Ursula Kampmann, Relikt aus Deutschlands Nachkriegszeit: Ein Hort von Zigarettenschachteln